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ohne Unterlaß bildet, sind viel dichter, steigen viel höher und
werden unzertrennt viel weiter fortgetragen, als beim Rheinfall.
Des heftigen Sturms ungeachtet, der von dem Bache herweht, er¬
heben sie sich senkrecht hoch über fein Bett empor und ziehen, so
5. weit das Auge reicht, dem Strom des Baches nach. Sie feuchten
in einem Umfange von einigen hundert Schritten den Wiesengrund
so sehr an, daß man sich dem Fall unmöglich nähern kann, ohne
nasse Füße zu bekommen. Eben deßwegen, weil sich vom Reichen¬
bache ungleich mehr und dichtere Nebel eniporheben, zeigt er auch
10. bei Hellem Sonnenschein ganz andere und ohne Vergleichung präch¬
tigere Phänomene, als alle andern berühmten Wasserfälle. Wenn
nämlich der Kranz von Wolken, womit er beständig umringt ist,
von der hohen Mittagssonne erleuchtet wird, so bildet er nicht bloß
einen oder mehrere Regenbogen, sondern Feuerströme, indem alle
15. Dünste mit den Farben des Regenbogens glänzen.
84. Die Gegend um die Teufelsbrücke.
Ich will nicht alle die Büche, Dörfer und Berge, die man
vom Hospital bis Gestinen, eine Stunde von der Teufelsbrücke,
antrifft, einzeln nennen; allein das kann ich versichern, daß ich
20. keinen Weg kenne, der so viel Großes und Schönes, so viel Lieb¬
liches und Schreckliches vereinigt, und gerade durch diese Mannich-
- faltigkeit und Mischung so anziehend und einzig ist. Bald sieht man
spiegelhelle Bäche, die an sanften Abhängen leise herunter gleiten,
und in denen man nicht die geringste Bewegung wahrnehmen könnte,
25. wenn nicht ihre Oberfläche von der Sonne erleuchtet würde; bald
wieder schreckliche brausende Bergströme, die mit der Neuß, von
welcher sie verschlungen werden, wetteifern, und oft in wenigen
Augenblicken ihres Zorns ganze Dörfer und Häuser unwiderstehlich
fortreißen. Bald entdeckt man freundliche Dörfer, oder artige Ca-
30. pellen und Häuser; bald aber auch grausenvolle Wildnisse, wo man
nichts als nackte und zertrümmerte Felsen sieht, und nur allein das
entsetzliche Toben der unaufhörlich von Felsen auf Felsen sich stür¬
zenden Reuß hört, die man zur beständigen Begleiterin hat. End¬
lich nimmt man bald fette Wiesen, lachende Alpen, einladende
35. Wäldchen und sorgfältig gebaute Gartenfelder wahr; dann aber auch
wieder verdorrte oder verdorrende Bäume, oder frisch zerbrochene
Stämme, die von heftigen Windstößen oder Lawinen wie dürre Reiser
zerbrochen wurden, oder ausgeriffeue Tannen, die ihre Wurzeln
nach dem Wege zustrecken und mit ihren stolzen Häuptern sich gegen
40. die schäumende Reuß hinneigen. Solche abgebrochene oder entwurzelte
Tannen sind häufig mit Eisklumpen, den Resten verwüstender La-
winen, oder mit Felsstücken vermischt, die durch eben diese Lawinen
von den hohen Felsen abgerissen worden. Unter den Felsstückeu,
womit die Abhänge der Berge und das Bett der Reuß bedeckt sind,
45. fanden wir eins, auf welchen! man ein kleines Kartoffelfeld ange¬
legt hatte.