Full text: Deutsches Lesebuch für mittlere Gymnasialklassen und Realschulen

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Gedichte lyrischen Charakters. 
B. Rein⸗lyrisce Geslichke. 
1. Andacht. 
Von Ludwig Tieck. 
Wann das Abendroth die Haine 
Mit den Abschiedsflammen küßt, 
Wann im prächt'gen Morgenscheine 
Lerchenklang die Sonne grüßt, 
O dann werf' ich Jubellieder 
In's Lobpreisen der Natur, 
Echo spricht die Töne wieder, 
Alles preist den Ew'gen nur. 
Mit den Quellen geht mein Grüßen, 
Und das taube Herz in mir 
Hat dem Gott erwachen müssen, 
Der uns schirmet für und für. 
Meereswogen laut erklingen, 
In den Wäldern wohnt manch' Schall: 
lnd wir sollten nicht besingen, 
Da die Freude überall? 
2. Zuversicht. 
Von L. Tieck. 
Wohlauf! es ruft der Sonnenschein Sei frisch und wandle durch den Hain 
Hinaus in Gottes freie Welt! Und sieh die Fremde gern. 
Geht munter in dag Land hinein Wer weiß, wo dir dein Glücke blüht 
Und wandelt über Berg und Feld! So deh und such es nur 
Es bleibt der Strom nicht ruhig stehn, Der Abend kommt, der Morgen flieht, 
Gar lustig rauscht er fort; Betrete bald die Spur. 
Hörst du des Windes muntres Wehn? Laß Sorgen sein und Bangigkeit; 
gigkeit; 
Er beaust von Ort zu Ort. Ist doch der Himmel blau, 
Es reist der Mond wohl hin und her, Es wechselt Freude stets mit Leid, 
Die Sonne ab und auf, Dem Glücke nur vertrau. 
Guckt über'n Berg und geht in's Meer So weit dich schließt der Himmel ein 
Nie matt in ihrem Lauf. Gerulh der Qebe Frucht, 
Und Mensch, du sitzest stets buheuin jedes Herz wird glücklich sein 
Und sehnst dich nach der Fern'; Und finden, was es sucht. 
3. Herr, du bist groß. 
Von Joh. Gabr. Seidl. 
„Herr, du bist groß!“ — so ruf' ich, wenn im Osten 
Der Tag wie eine Feuerros' erblüht; 
Wenn, um den Reiz des Lebens neu zu kosten, 
Natur und Mensch in junger Kraft erglüht. 
Wo lässest du, o Herr, dich güt'ger sehen, 
Als in des Morgens großem Auferstehen? 
„Herr, du bist groß!“ — so ruf' ich, wenn's von Wettern 
Am Mittagshorizonte zuckend droht, 
Und du mit deines Blitzes Flammenlettern 
Auf Wolkentafeln schreibst dein Machtgebot. 
Wo wärst, o Herr, furchtbarer du zu schauen 
Als im empörten Mittagswettergrauen?
	        
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