Full text: [Theil 7, [Schülerband]] (Theil 7, [Schülerband])

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Rechten schwenkte. Sein Auge durchspähte den Leib Hektors, 
forschend, wo etwa eine Wunde haften könnte. Da fand er alles 
blank von der geraubten Rüstung umhüllt; nur wo Achsel und 
Hals das Schlüsselbein verbindet, erschien die Kehle, die gefährlichste 
Stelle des Lebens am Leibe, ein wenig entblößt. Dorthin lenkte 
Achilles schnell besonnen seinen Stoß und durchstach ihm den Hals 
so mächtig, daß die Lanzenspitze zum Genick herausdrang. Doch 
durchschnitt ihm der Speer die Gurgel nicht so, daß der Verwundete 
nicht noch reden konnte, obgleich er in den Staub sank, während 
Achilles laut frohlockte und den Leichnam Hunden und Vögeln 
preiszugeben drohte. Da begann der liegende Hektor, schon schwächer 
athmend, zu flehen: „Ich beschwöre dich bei deinem Leben, Achilles, 
bei deinen Knien, bei deinen Eltern, laß mich bei den Schiffen der 
Danaer nicht die Hunde zerreißen! Nimm Erz und Gold, so viel 
du willst, zum Geschenk und entsende dafür meinen Leib nach 
Troja, daß Männer und Frauen dort ihm die Ehre des Scheiter¬ 
haufens zu theil werden lassen!" Aber Achilles schüttelte sein 
fürchterliches Haupt und sprach: „Beschwöre mich nicht bei meinen 
Knien und meinen Eltern, du Mörder meines Freundes! Niemand 
sei, der dir die Hunde verscheuche von deinem Haupt, und wenn 
mir deine Landsleute zwanzigfältige Sühnung darwögen und noch 
mehr verhießen, ja, wenn dich Priamus mir selbst mit Gold auf¬ 
wägen wollte!" — „Ich kenne dich, stöhnte Hektor sterbend, ich 
ahnte, daß du nicht zu erweichen sein würdest; dein Herz ist eisern. 
Aber denk an mich, wenn die Götter mich rächen, und am hohen 
Skäischen Thore du, von dem Geschosse des Phöbus Apollo getroffen, 
im Staube endest wie jetzt ich!" Mit dieser Weissagung verließ 
Hektors Seele den Leib und flog zürn Hades hinunter. Achilles 
aber rief der fliehenden nach: „Stirb du; mein Loos empfang ich, 
wann Jupiter und die Götter wollen." So sprach er und zog 
den Speer aus dem Leichnam, legte ihn beiseite und zog die 
eigene, blutige Rüstung von den Schultern des Gemordeten. 
Nun kamen aus dem griechischen Heere viele Streiter herbei¬ 
gelaufen und betrachteten bewundernd den Wuchs und die hohe 
Bildung des todten Hektor, und mancher sprach, ihn anrührend: 
„Wunderbar, wie viel sanfter ist doch der Mann nun zu betasten, 
als da er den Feuerbrand in unsere Schiffe schleuderte!" Jetzt 
stellte sich Achilles mitten unter das Volk und sprach: „Freunde 
und Helden! Nachdem die Götter mir verliehen haben, diesen 
Mann hier zu bändigen, der uns mehr böses gethan hat, als alle 
anderen zusammen, so laßt uns in unserer Rüstung die Stadt ein 
wenig auskundschaften, um zu erforschen, ob sie uns wohl die 
Burg räumen werden, oder ob sie es wagen, uns auch ohne Hektor 
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