Full text: Deutsche Dichtung des 18. Jahrhunderts (Band 2, [Schülerband])

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Am Grabe Höltys 
25 Schalkhalft lächelte drob und sprach die treffliche Gattin: 
„Nicht zur Geburtstagsgabe! Was Besseres bring' ich im Koffer 
Unserm Vater zur Cust und dem Mütterchen, ohne dein Wissen!“ 
Sprach's und faßte dem Manne die Hand; die führende Mutter 
Offnete leise die Tür und ließ die Kinder hineingeh'n. 
230 Aber die junge Frau, voll Lieb' im lächelnden Antlitz, 
Hüpfte voraus und küßte den Greis. Mit verwunderten Augen 
Sah er empor und hing in der trautesten Kinder Umarmung. 
Johann heinrich Voß. 
39. Am Grabe Höltys. 
. Költy, dein Freund, der Frühling, ist gekommen! 
Klagend irrt er im Haine, dich zu finden; 
Doch umsonst! Sein klagender Ruf verhallt in 
Einsamen Schatten. 
2. Nimmer entgegen tönen ihm die Lieder 
Deiner zärtlichen, schönen Seele; nimmer 
Freust des ersten Veilchens du dich, des ersten 
Taubengegirres. 
53. Ach, an den Hügel sinkt er deines Grabes 
Und umarmt ihn sehnsuchtsvoll: „Mein Sänger 
Tot!“ So klagt sein flüsternder Hauch dahin durch 
Säuselnde Blumen. 
Nikolaus Lenau. 
10. Lenore. 
. 
1. Lenore fuhr ums Morgenrot 
Empor aus schweren Träumen: 
„Bist untreu, Wilhelm, oder tot? 
Wie lange willst du säumen ?“ — 
Er war mit König Friedrichs Macht 
Gezogen in die Prager Schlacht 
Und hatte nicht geschrieben, 
Ob er gesund geblieben. 
2. Der König und die Kaiserin, 
Des langen Haders müde, 
Erweichten ihren harten Sinn 
Und machten endlich Friede. 
Und jedes Heer mit Sing und Sang, 
Mit Paukenschlag und Kling und Klang, 
Geschmückt mit grünen Reisern, 
Zog heim zu seinen Häusern. 
3. Und überall, allüberall, 
Auf Wegen und auf Stegen, 
Zog alt und jung dem Jubelschall 
Der Kommenden entgegen. 
„Gottlob!“ rief Kind und Gattin laut, 
„Willkommen!“ manche frohe Braut. — 
Ach! aber für CLenoren 
War Gruß und Kuß verloren. 
4. Sie frug den Zug wohl auf und ab 
Und frug nach allen Namen; 
Doch keiner war, der Kundschaft gab 
Von allen so da kamen. 
Als nun das Heer vorüber war, 
Zerraufte sie ihr Rabenhaar 
Und warf sich hin zur Erde 
Mit wütiger Gebärde. 
5. Die Mutter lief wohl hin zu ihr: 
„Ach, daß sich Gott erbarme! 
Du trautes Kind, was ist mit dir ?“ 
Und schloß sie in die Arme. — 
„O Mutter, Mutter! hin ist hin! 
Nun fahre Welt und alles hin! 
Bei Gott ist kein Erbarmen. 
O weh, o weh, mir Armen!“ 
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