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A. Erzählende Prosa. III. Märchen.
vor, die Hütte seines Vaters zu suchen. Er lief Tag und Nacht über
Felsensteine und alte gefallene Baumstämme, fiel auch gar oft über die
schwarzen Wurzeln, die aus dem Boden überall hervorragten. Am
dritten Tage wurde der Wald immer heller und heller, und da kam
er endlich hinaus und in einen schönen, lichten Garten, der war voll
der lieblichsten Blumen, und weil Goldner so etwas noch nie gesehen,
blieb er voll Verwunderung stehen. Der Gärtner im Garten bemerkte
ihn nicht so bald — denn Goldner stand unter den Sonnenblumen, und
seine Haare glänzten im Sonnenschein nicht anders wie so eine Blume
— als er auch zu ihm sprach: „Solch einen Burschen hab' ich gerade
vonnöten!" und das Thor des Gartens schloß. Goldner ließ es sich
gefallen; denn ihm deuchte unter den Blumen ein gar buntes Leben,
zumal er ganz die Hoffnung aufgegeben hatte die Hütte seines Vaters
wiederzufinden. „Fort in den Wald!" sprach der Gärtner eines Mor¬
gens zu Goldner, „holl mir einen wilden Rosenstock, daß ich zahme
Rosen darauf pflanze!" Goldner ging und kam mit einem Stock der
schönsten goldfarbenen Rosen zurück, die waren auch nicht anders, als
hätte sie der geschickteste Goldschmied für die Tafel eines Königs ge¬
schmiedet. „Packe dich mit diesen goldenen Rosen!" schrie der Gärtner,
„du hast es mit dem Bösen zu thun!" und so stieß er ihn gar unsanft
aus dem Garten, indem er die goldenen Rosen unter vielen Ver¬
wünschungen in die Erde trat.
Goldner konnte die Worte des Gärtners nicht begreifen; er ging
getrost wieder in den Wald zuriick und nahm sich nochmals vor, die
Hütte seines Vaters zu suchen. Er lief Tag und Nacht von Baum zu
Baum, von Fels zu Fels. Am dritten Tage endlich wurde der Wald
hell und immer heller, und da kam Goldner hinaus und an das blaue
Meer; das lag in einer unermeßlichen Weite vor ihm. Die Sonne
spiegelte sich eben in der krystallhellen Fläche, da war es wie fließen¬
des Gold; darauf schwammen schön geschmückte Schiffe mit langen fliegen¬
den Wimpeln. Eine zierliche Fischerbarke stand am Ufer, in die trat
Goldner und sah mit Erstaunen in die Helle hinaus. „Ein solcher
Bursch ist uns gerade vonnöten!" sprachen die Fischer, und — husch!
stießen sie vom Lande. Goldner ließ es sich gefallen; denn ihm deuchte
bei den Wellen ein goldenes Leben, zumal er ganz die Hoffnung auf¬
gegeben hatte seines Vaters Hütte wiederzufinden. Die Fischer warfen
ihre Netze aus und fingen nichts. „Laß sehen, ob du glücklicher bist!"
sprach ein alter Fischer mit silbernen Haaren zu Goldner. Mit un¬
geschickten Händen senkte Goldner das Netz in die Tiefe, zog und fischte
— eine Krone von hellem Golde. „Triumph!" rief der alte Fischer
und fiel Goldner zu Füßen — „ich begrüße dich als unsern König!
Vor hundert Jahren versenkte der alte König, welcher keinen Erben
hatte, sterbend seine Krone ins Meer, und so lange, bis irgend einem
Glücklichen das Schicksal bestimmt hätte, die Krone aus der Tiefe zu
ziehen, sollte der Thron ohne Nachfolger in Trauer gehüllt bleiben".
— „Heil unserem Könige!" riefen die Fischer und setzten Goldner die
Krone auf. Die Kunde von Goldner und der wiedergefundenen Königs¬