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Füßen des Gottes standen die Sessel der Kampfrichter; hier stand der heilige
Tisch, auf welchem die frisch geschnittenen Kränze des Ölbaums lagen; vor den
Augen des Zeus wurde des Siegers Haupt geschmückt, wurde die Palme in
seine Hand gegeben, während die Versammlung in den Hallen und auf den
Galerien heilige Lieder anstimmte. Dann brachte der Sieger sein Dankopfer
am Altar des Zeus dar und wurde mit seinen Siegesgenossen als Gast des
olympischen Gottes am Herde des Heiligtums bewirtet. Die Masse des Volks
aber lagerte sich vor der Altis zwischen wohlversorgten Buden im Freien oder
unter Zelten, und beim Lichte des Mondes erschallte die ganze Flur von Sieges¬
gesängen. Hier schlossen sich neue Freundschaften, hier begegneten sich alte Gast¬
freunde; hier erzählte jeder von den Wundern seines Landes und seiner Stadt,
älle griechischen Mundarten tönten durcheinander; es war das bunteste Treiben
eines südlichen Jahrmarkts. Damit die Gestalt der Sieger nicht nach flüchtigem
Eindruck aus dem Gedächtnisse der Hellenen wieder verschwinden möchte, wurden
sie im Erzgusse dargestellt, kommenden Geschlechtern zur Erinnerung und zur
Nacheiferung; wer dreimal gesiegt hatte, durfte in ganzer Größe dargestellt
werden. Diese Bildsäulen wurden häufig vervielfältigt, um auch in des Siegers
Vaterstadt aufgestellt zu werden, so wie sich auch an die Festfreude Olympias
noch eine Nachfeier bei des Siegers Heimkehr anschloß. Man riß die Stadt¬
mauern ein, um seinem Wagen Bahn zu machen; ein unabsehlicher Zug schloß
sich an, indem der Sieger im Purpurgewande voranfuhr und die Festgenossen
durch die Hauptstraßen zu dem Tempel der stadthütenden Gottheit führte; ihr
wurde das Opfer des Dankes gebracht, und der schönste Schmuck dieses Tages
war das Lied eines gefeierten Sängers, welches den Zug begleitete oder beim
Mahle gesungen wurde.
267. Rom zur Kaiserzeit.
Ludwig Friedländer.
Trotz aller Mängel seiner Straßen und seiner Lage war Rom doch eine
Stadt ohnegleichen. Was hauptsächlich zusammenwirkte, um ihren Eindruck
überwältigend zu machen, war dies: das ungeheuere, ewig wechselnde Ge¬
wühl einer aus allen Ländern zusammenströmenden Bevölkerung, das ver¬
wirrende und berauschende Treiben eines wahrhaften Weltverkehrs, die
Großartigkeit, Pracht und Menge der öffentlichen Anlagen und Bauten und
endlich die unermeßliche Ausdehnung der Stadt. Wer damals von der
Höhe des Kapitols hinabschaute, dessen Blick verlor sich in einem Gewirr
von Prachtgebäuden, Palästen und Denkmälern jeder Art, das zu seinen
Füßen sich meilenweit über Tal und Hügel in unabsehbare Ferne hinbreitete.
Wo sich jetzt eine ruinenerfüllte Einöde gegen das Albanergebirge hinstreckt,
über der Fieberluft brütet, war damals eine durchaus gesunde, überall an¬