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I. Geschichte.
alt und jung, von Stadt und Land, von altpreußischen und annektierten
Provinzen; die Bewegung war ebenso stark und einmütig in den hessischen
und den hannoverschen wie in den niedersächsischen und brandenburgischen
Orten.
Der Kronprinz, Bismarck, Roon und Moltke waren dem Könige
bis Brandenburg entgegengefahren, um ohne Zeitverlust gleich die dring¬
lichsten Vorkehrungen mit ihm zu besprechen. Noch wollte der König
nicht an den Ausbruch des Krieges glauben; er dachte, daß jetzt die
französische Aufregung sich beruhigen würde. Als aber der Zug in den
ebenfalls von dichten Menschenmassen erfüllten und umlagerten Berliner
Bahnhof eingelaufen war, überreichte auf dem Bahnsteig Äerr von Thile
dem Grafen Bismarck das eben aus Paris gekommene Telegramm mit
der Erklärung der französischen Minister. Es wurde Sr. Majestät vor¬
gelesen; der König sagte: „Das sieht ja sehr kriegerisch aus, da werden
wir wohl drei Armeekorps sogleich mobil machen müssen." Bismarck
sagte: „Majestät, das wird nicht reichen, die Franzosen mobilisieren
jetzt schon ihre ganze Armee." Der König befahl darauf Bismarck eine
nochmalige Verlesung der ganzen Depesche. „Aber das ist ja die Kriegs¬
erklärung," rief er jetzt in tiefer Bewegung, „also wirklich, noch einmal
ein solcher Krieg?" „Es ist wahr," sagte er darauf, „es ist der Krieg;
nun denn, so sei es, in Gottes Namen!" Der Kronprinz wandte sich
zu den hinter ihm stehenden Offizieren mit dem Rufe: „Krieg! Mobil!",
worauf ihn der König unter Tränen lebhaft umarmte.
Die Kunde siog rasch hinaus zu den draußen harrenden Menschen¬
massen, und ein gewaltiges Emrra aus Vieltausend Kehlen antwortete,
daß die Fensterscheiben zitterten, und pflanzte sich fort auf den Platz
und durch alle Straßen, durch die der König zu seinem Palaste fuhr.
Auch hier drängte sich die Volksmenge, hochrufend und das „ioeit dir
im Siegerkranz" singend. Nachdem der König sich mehrere Male am
Fenster gezeigt und seinen Dank hinabgewinkt hatte, erschien gegen
11 Ahr ein Offizier auf der Rampe: „Se. Majestät halten Kriegsrat
und lassen um Ruhe bitten." Sofort ertönte es drunten: „Der König
will Ruhe haben," und in zwei Minuten waren die Massen wie weg¬
gekehrt, und der weite Platz lag in stiller Einsamkeit. Noch in der
Nacht gingen dann die Befehle zur Mobilmachung hinaus an die
Truppen und die entsprechenden Depeschen an die süddeutschen Ver¬
bündeten.
Am folgenden Morgen las man in allen Städten und Dörfern
Norddeutschlands den Anschlag: „Alles einziehen, auch Garde und dritte
Augmentation, erster Tag der Mobilmachung 16. Juli." Zn raschem