Full text: [Band 3, [Schülerband]] (Band 3, [Schülerband])

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Weit entfernt auf das, was man so gemeinhin ein gutes Herz nennt, 
großen Werth zu legen. Die Bereitwilligkeit, mit andern und für sie 
zu empfinden, sich zum Werkzeuge von ihnen gebrauchen zu lassen, und 
sich an alles, was in ihnen gut und groß zu sein scheint, bewunderungs- 
5 voll anzuschließen, ist etwas sehr zweideutiges, und oft nichts anderes, 
als Leerheit des eigenen Sinnes, Unfähigkeit selbst etwas zu wollen, 
Gefühl des Bedürfnisses, sich von andern leiten und stoßen zu lassen. 
Aber ohne einen wahrhaft guten Willen, ohne eine echt sittliche Ge¬ 
sinnung, ohne die feste und immer thätige Richtung aller Kräfte auf 
10 das selbsterkannte Gute, ohne treuen Gehorsam gegen die göttlichen 
Gesetze sind alle jene Vorzüge des Geistes, und wenn ihr sie bis zum 
höchsten Gipfel der Vollendung ausgearbeitet hättet, nichts, gar nichts; 
dagegen diese gute Gesinnung, die freilich unausbleiblich allemal mit 
dem Bestreben verbunden ist, alle Anlagen, welche wir von Gott em- 
I5pfangen haben, aufs beste zu benutzen, wenn sie auch durch ungünstige 
Umstände gehindert wird, sich in die höhern Kreise der Bildung hin¬ 
aufzuschwingen und sich mit mancherlei Vorzügen auszuschmücken, den¬ 
noch überall denselben alles andere verdunkelnden Werth behält. Das 
ist meine Ueberzeugung, welche ich gern durch den folgenden Vortrag 
20 in euch allen hervorbringen oder noch lieber nur erneuern und be¬ 
festigen möchte. 
Text: 1. Kor. 12, 31. — 13, 1. 
Strebet aber nach den besten Gaben, und ich will euch noch 
einen köstlicheren Weg zeigen. Wenn ich mit Menschen- und mit 
85 Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein 
tönend Erz oder eine klingende Schelle. 
In der Gemeine, an welche dieser Brief gerichtet ist, war über 
einen an sich löblichen Gegenstand ein Wetteifer entstanden, der der 
brüderlichen Eintracht nachtheilig war. Jeder suchte durch die Gaben, 
30 welche ihm die göttliche Gnade verliehen hatte, zur Erbauung der Ge¬ 
meine oder zu ihrer Verherrlichung unter den Ungläubigen etwas bei¬ 
zutragen. Dieser Eifer für das allgemeine Wohl war aber nicht un¬ 
verfälscht. Jeder wollte sein Talent für das vorzüglichste gehalten 
wissen; man verglich und sorschte, welches unter allen wohl den meisten 
35 Glanz auf den Besitzer zurückwerfe, und so mischte sich auf allen Seiten 
Stolz, Eigendünkel und Eifersucht ein. Der Apostel ertheilt deshalb 
seinen Lesern zuerst die Lehre, daß ein Talent, welches nicht zum Wohl 
der Gemeine beiträgt, auch nichts ehrenvolles sein kann, und geht dann 
in den Worten unseres Textes zu der allgemeinen Weisung über, daß 
40 sie sich überhaupt nicht auf den richtigen Gesichtspunkt gestellt hätten, 
um ihren Werth zu beurtheilen. Er sagt, wenn sie sich auch alle der 
herrlichsten Gaben befleißigten, so gebe es doch noch etwas köstlicheres, 
nemlich die wahrhaft tugendsame, sittliche Gesinnung, der er hernach 
unter dem Namen der Liebe die bekannte, so beredte und begeisterte 
45 Lobrede hält. Diesen Ausspruch laßt uns jetzt besonders auf dasjenige 
anwenden, was in unsern Tagen so auszeichnend geschätzt wird; laßt 
uns bedenken, 
daß alle Vorzüge des Geistes, getrennt von einer sittlichen und 
würdigen Gesinnung, gar keinen Werth haben. 
50 Ich werde dies deutlich zu machen suchen, indem ich zeige: erstlich, 
daß aus ihnen für sich kein gegründeter Anspruch auf unsere Achtung 
entsteht; zweitens, daß sie sich mit Recht unsere Zuneigung nicht
	        
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