733
geistige Natur des Asengeschlechts hat sich schon in der Ehe Bors mit
der Riesentochter an die Materie gebunden und ist dadurch im Lose
dieser mitbefangen. Wann einst die entfesselten Jötune hereinbrechen,
dann werden im Untergange der Welt auch die kämpfenden Äsen ver¬
schlungen und darum heißt das Ende der Dinge Ragnarök, der Regin, 5
waltenden Götter, Dämmerung. Aber aus dem allgemeinen Unter¬
gänge steigt eine neue Welt empor, in der auch die Äsen wieder auf¬
leben, und so bewährt sich der im Salzsteine gelegene Keim dennoch
als ein Göttliches, das im Durchgänge durch die Zeit zwar ihren Wechseln
verfallen, an sich aber unvertilgbar ist. ^ 10
Auf dem zeitlichen Dasein der Äsen lastet nun stets das Vorgefühl
des hereindrohenden Verderbens. Ueberall erkennen sie die Zeichen des¬
selben; im Einbrüche der Nacht, in der jährlichen Abnahme des Lichtes,
im Welken des Sommergrüns, im Siege des Winterfrosts ahnen sie
den Tod ihrer Schöpfung, empfinden sie ihr eigenes Altern. Haben sie 15
doch Den in ihrer Mitte, in dem sich durchaus die Neige der Dinge
verbildlicht. Loki, der Beschließer, Endiger, von jötunischer Abkunft,
hat in frühester Zeit schon mit Odin Blutbrüderschaft geschlossen und
befindet sich stets in der Äsen Gesellschaft. Nach Raum und Zeit be¬
zeichnet er Ziel und Ende der Göttermacht. Er wirkt die Abnahme 20
des Lichtes, er ist der Abend des Jahres, wie der Zeiten überhaupt,
und steht in durchgängigem Gegensatze mit Heimdall, dem überall die
Frühe, der Aufgang, angehört, dessen Schwert Höfud, der Anfang,
ist, der Gras und Wolle wachsen hört, jedes leiseste Werden erlauscht.
In die Gemeinschaft der waltenden Götter aufgenommen, vertritt 25
Loki nicht bloß den im Leben der Welt auch den Jötunen gebührenden
Antheil, er ist zugleich das leise Verderben, das rastlos unter den
Göttern umherschleicht. Dies sein stille zehrendes Wirken wird als
List und Trug, als boshafter Rath dargestellt, wodurch er die von
ihm getäuschten Äsen in Schaden und Unfall führt. Aber auch ihren 30
endlichen, gewaltsamen Untergang hat er vorbereitet. Mit dem Riesen¬
weib Oegurboda oder Angrboda, der Unheilkünderin, hat er außer der
Todesgöttin Hel, den Wolf Fenrir und die Midgardsschlange gezeugt;
das erstere dieser Ungeheuer wird im letzten Kampfe Odins Todter
sein, das andre Thors, der beiden Hauptgötter. Als die Äsen seines 35
Verrathes inne werden, fangen und binden sie ihn, allein auch er
wird einst los werden und die zerstörenden Gewalten heranführen.
Dann geben Loki und Heimdall sich gegenseitig den Tod, Anfang und
Ende gehen in der Auflösung alles Zeitlichen mit einander auf.. .
Doch nicht verzagend und thatlos harren die Götter dem Schicksal 40
entgegen. Jeder wacht und wehrt, schafft und kämpft an seiner Stelle.
Odin, das Haupt der Äsen, der auch dem Namen nach der Gott des leben¬
digen Geistes ist, durchforscht rastlos die Welt und stärkt die Sache
der Götter, indem er überall geistiges Leben weckt und den irdischen
Heldengeist zu höherem Berufe, zur künftigen Theilnahme an dem 45
großen Götterkampf, in seine himmlische Halle heranzieht. Dagegen
ist Thor, Odins kräftigster Sohn, vorzugsweise Beschirmer der Erde,
deren Anbau er begründet, deren Fruchtbarkeit und Freundlichkeit er
zum Besten ihrer Bewohner unermüdlich fördert und schützt, und
darum mit den wilden Elementargewalten in beständigem Kampfe 50
liegt.
2. Thor ist der personifizirte Donner, der Donnergott. Wenn
er daherfährt, erzittern die Berge, brechen die Felsen und steht die Erde
in Flammen. Seinen Wagen ziehen dann zwei stattlichgehornte Böcke,