Full text: [Band 3, [Schülerband]] (Band 3, [Schülerband])

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Staatskörper sein und auch da jedes Organ eigens für die Funktionen 
geschaffen sein, die von ihm verlangt werden. 
Der beliebte Ausdruck freilich „Trennung der Gewalten" mißleitet 
zu falschen Anwendungen eines richtigen Prinzips. Die vollständige 
„Trennung" der Gewalten wäre Auflösung der Staatseinheit und Zer- 5 
reißung des Staatskörpers. Wie in dem natürlichen Körper alle ein¬ 
zelnen Glieder unter sich wieder verbunden sind, so muß auch im Staate 
der Zusammenhang der verschiedenen Organe nicht minder sorgsam ge¬ 
wahrt bleiben. Der Staat fordert daher die Einheit der Staatsgewalt, 
welche nur je nach der Art ihrer Funktionen nach besonderen Organen 10 
zu gliedern ist. Er will daher die relative Sonderung, nicht die ab¬ 
solute Trennung der Gewalten. 
Die gangbarste Unterscheidung dieser Theilgewalten — die Franzosen 
haben den bessern Ausdruck pouvoir — ist seit Montesquieu die drei¬ 
fache: 1) gesetzgebende Gewalt (pouvoir tegislatif), 2) vollziehende 15 
Gewalt (pouvoir exeeutif), 3) richterliche Gewalt (pouvoir judiciaire). 
Auch die Engländer haben dieselbe für ihre Theorie des Staats¬ 
rechts angenommen. Mit besonderer Energie, aber nicht ohne Ueber¬ 
treibung haben die Nordamerikaner in ihren Verfassungen diese Drei¬ 
theilung durchgeführt. Eine ganze Reihe moderner europäischer Ver-20 
fassungen haben dieselbe ebenso sanktionirt. 
Den genannten drei Gewalten haben einige, wohl zunächst im 
Interesse der Staatseinheit 4) eine vermittelnde Gewalt (pouvoir 
mockerateur, royal) hinzugefügt, und es ist dieser Gedanke Benjamin 
Constants auch in die portugiesische Verfassung Don Pedros überge-25 
gangen. Andere haben der vollziehenden Gewalt ferner 5) die verwaltende 
(pouvoir administratif), 6) die aufsehende (potestas inspectiva) und 
7) die repräsentative (pouvoir representatif) beigeordnet. 
Bevor wir diese Emtheilung näher prüfen, ist eine irrige Vorstellung, 
welche häufig auf die Behandlung dieser Fragen großen Einfluß geübt 30 
hat, zu entfernen, die Vorstellung nemlich von der Gleichstellung der 
verschiedenen Gewalten. Dieselbe widerspricht der organischen Natur 
des Staates. In dem organischen Körper hat jedes Glied die ihm 
eigenthümliche, aber keines mit dem andern gleiche Stellung. Vielmehr 
ist das eine dem andern über- oder unter- oder zugeordnet. Nur so35 
wird Zusammenhang und Einheit des Ganzen erhalten. Dasselbe gilt 
vom Staat. Würden die obersten Gewalten in diesem wirklich, nicht 
bloß der äußern Form und dem Scheine nach wie in Nordamerika, 
einander gleichgestellt, so müßte solche Spaltung und Gleichstellung der 
höchsten Staatsmacht den Staat selbst in ihren Konsequenzen in Stücke 40 
reißen. Man kann den Kopf nicht von dem Leibe trennen und diesem 
gleichstellen, ohne das Leben des Menschen zu tödten. 
Fast kindisch ist die Vorstellung von dem Verhältniß der Staats¬ 
gewalten zu nennen, welche in der gesetzgebenden Gewalt lediglich die 
Bestimmung der Regel, in der richterlichen die Subsumtion des einzelnen 45 
Falles unter die Regel, in der vollziehenden endlich die Vollstreckung 
dieses Urtheils sieht, und so den Staatsorganismus wie einen bloßen 
logischen Syllogismus betrachtet (Kant, Spittler). Alle Funktionen 
der verschiedenen Gewalten wären so in jedem gerichtlichen Urtheile 
vereinigt, welches von allgemeinen Prinzipien ausgeht, diese auf die50 
vorgelegte Streitfrage anwendet, und endlich in Folge dessen das Er¬ 
kenntniß zum Schluß bringt. Die Regierung aber hätte kaum eine 
andere Aufgabe, als die des Frohnboten oder der Gendarmerie, welche 
das Urtheil der Gerichte vollzieht. 
Mager, Deutsches Elementarwer!. I. 3. Sechste Aufl. 
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