Full text: Dichtungen (I [und II], [Schülerband])

238 
„Ihr seid, der Sprache nach, aus meinem Lande; vielleicht 
Ist's nicht umsonst, dass Ihr dem guten Herrn so gleicht? 
Um den ich hier in diesem wilden Haine, 
So fern von meinem Volk, schon sechzehn Jahre weine. 
Ach! ihn zu überleben, war 
Mein Schicksal! Diese Hand hat ihm die Augen geschlossen, 
Dies Auge fein frühes Grab mit treuen Zähren begossen, 
Und itzt, ihn wieder in Euch zu sehn, wie wunderbar!" 
Der Zufall spielt zuweilen solche Spiele, 
Versetzt der Jüngling. — Sei es denn, 
Fährt jener fort: genug, mein wackrer junger Mann, 
Die Liebe, womit ich mich zu Euch gezogen fühle, 
Ist, Treue! kein Wahn; und gönnet ihr den Lohn, 
Dass Scherasmin bei Eurem Namen Euch nenne? 
„Mein Nam1 ist Hüon, Erb' und Sohn 
Des braven Sigewin, einst Herzogs von Guyenne.“ 
0! ruft der Alte, der ihm zu Füssen fällt, 
So log mein Herz mir nicht! 0 tausendmal willkommen 
In diesem einsamen unwirthbar’n Theil der Welt, 
Willkommen, Sohn des ritterlichen, frommen, 
Preiswerthen Herrn, mit dem in meiner bessern Zeit 
Ich manches Abenteu’r in Schimpf und Ernst bestanden! 
Ihr hüpftet noch im ersten Flügelkleid, 
Als wir zum heil'gen Grab zu fähren uns verbanden. 
Wer hätte dazumal gedacht, 
Wir würden uns in diesen Felsenschlünden 
Auf Libanon nach achtzehn Jahren finden? 
Verzweifle keiner ja, dem in der trübsten Nacht 
Der Hoffnung letzte Sterne schwinden! 
Doch, Herr, verzeiht, dass mich die Freude plaudern macht. 
Lasst mich vielmehr vor allen Dingen fragen, 
Was für ein Sturmwind Euch in dieses Land verschlagen? 
Herr Hüon lässt am Feuerherd 
Auf einer Bank von Moos sich mit dem Alten nieder, 
Und als er drauf die reisemüden Glieder 
Mit einem Trunk, so frisch die Quelle ihn bescheert, 
Und etwas Honigseim gestärket, 
Beginnt er seine Geschichte dem Wirth zu erzählen, der sich 
Nicht satt an ihm sehen kann, und stets noch was bemerket, 
Worin fein voriger Herr dem jungen Ritter glich. 
Der junge Mann erzählt, nach Art der lieben Jugend 
Ein wenig breit: wie feine Mutter ihn 
Bei Hofe (dem wahren Ort um Prinzen zu erziehn) 
Gar fleifsig zu guter Lehr’ und ritterlicher Tugend
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.