30 I. Erzähl, u. Schilderungen rc. Alte Geschichte. i. A. d. griechischen Geschichte.
die Gesinnung der Athener kennt, daß wir nicht um alles in der Welt,
nicht um das allersckwnste und trefflichste Land medisch würden und Hellas
in die Knechtschaft brächten. Denn es sind viele und mächtige Gründe,
die uns daran verhindern, wenn wir auch wollten. Erstlich und vor
allen Dingen die verbrannten und niedergestürzten Wohnungen und Bild¬
säulen der Götter, dafür wir durchaus'die vollste Rache üben müssen,
eher als vertragen mit dem, der das gethan. Zum andern, wir sind
mit dem Hellenenvolk von gleichem Blut und gleicher Sprache, wir
haben dieselben Göttertempel und Opfer, dieselben Sitten. Und die sollten
die Athener verrathen? Das wäre nicht fein. Wisset also, wenn ihr
es früher nicht gewußt habt, so lange noch ein einziger Athener am Leben
ist, werden wir mit dem Terxes nicht vertragen. Wir freuen uns zwar
des Wohlwollens, so ihr gegen uns beweist, daß ihr für uns arme Leute
ohne Dach und Fach Sorge tragen und unsere Hausgenossen ernähren
wollt, und es ist wahr, das ist alles mögliche; aber dennoch wollen wir
noch ferner so bleiben, wie wir sind und 'euch nicht zur Last fallen. Jetzo
aber, da die Sachen so stehn, schickt nur euer Heer auf's eiligste heraus.
Denn wie wir vermuthen, so wird der Feind nicht lange warten in unser
Land einzufallen, sondern sobald er hören wird, daß wir nichts von alle
dem thun wollen, was er verlangt, wird er da sein. Ehe er also nach
Attika kommt, müßt ihr ihm nach Böotien entgegen gehn."
So edelmüthig handelten die Athener, obgleich ihnen voller Ersatz
für die Verwüstung ihres Landes und gleiches Bündnis mit Persien
versprochen war; obgleich sie voraussahen daß das feindliche Heer aufs
neue in ihr Land einfallen und ihre kaum wieder hergestellten Häuser
zerstören werde; obgleich die Spartaner im vorigen Jahre das Ver¬
sprechen, zum Schutze von Attika mit der Heeresmacht des Pelopon¬
nesus nach Böotien vorzurücken, nicht gehalten hatte.
20. Xenokrates bor dem Volksgerichte. (396—314 v. Ehr.)
Wilhelm Fischer, geb. den 28. Februar 1833 zu Wermelskirchen, feit 1865 Rektor
zu Ottweiler.
Dem Manne Heil, des Seele klar und dessen Worte truglos sind
Und fest bestehn und nicht verwehn wie leichte Spreu im Wirbelwind!
Es nimmt ein jeder ungeprüft wie neugeprägtes Gold sie an,
Auch ohne Handschlag, ohne Eid, und denkt getrost: Ein Wort, ein Mann!
Als zu Athen ä'enokrates einst vor dem Volksgerichte stand,
Da trat er wie ein andrer vor und hob zum Schwure schon die Hand.
Doch eh' er noch den Mund erschloß, zu sprechen den gewalt'gen Eid,
Erhob der Heliasten *) Schar sich ungestüm in Einigkeit.
Und alle, alle riefen laut, all die Fünfhundert: „Schwöre nicht!
Der Wahrheit Sonne strahlet hell von deinem edlen Angesicht;
Wer kann dich einer Lüge zeihn? Noch nie befleckte deinen Mund
Die Falschheit und der Doppelsinn, und lauter ist dein Herzensgrund.
Wir glauben dir, wenn unser Ohr ein Wort nur deines Mundes hört,
So viel, als wenn ein andrer uns den heiligsten der Eide schwört."
*) Das Lolksgericht zu Athen, etwa unsere Geschworenen.