Full text: Für Tertia (Teil 4, [Schülerband])

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Erspähen der Jagd- oder Räuberbeute, zum lebenrettenden Heimfinden 
zu den Seinen in diesen menschenöden Gebieten alle Sinne im alltäg¬ 
lichen Daseinskampf zur entscheidenden Mitwirkung berufen waren. 
Das Gehör spürt noch die leisesten Schallwellen, von denen unser 
Ohr nicht das Geringste empfindet. In Australien unterhalten sich 
einander begegnende Schwarze, wenn sie längst in entgegengesetzter Richtung 
fortwandern und der begleitende Europäer einen Monolog zu hören meint. 
Ungefähr ein halbes Kilometer nennt der Kalmücke eine Hörweite, denn 
auf solche Entfernung ist ihm menschliche Rede ohne Stimmverstärkung 
verständlich. Wie seltsam doch die Sitte kirgisischer Mütter, den Kleinen 
die Ohrmuscheln auszuweiten, damit sie dereinst durch besseres Aufsaugen 
der Schallwellen besser ins Leben passen! Am Geruch erkennen die Leute 
menschliche wie tierische Fährte, wenn sie auf unbewachsencm Felsboden 
keinen Eindruck zurückließ, mitunter noch nach Tagen. Aimara-Jndianer 
finden sich in finsterer Nacht zum Lagerplatz zurück durch den Geruch der 
Fluren, von dem der stumpfsinnigere Weiße gar nichts spürt. Der Austral¬ 
schwarze wird gern in die austral-englische Polizei eingestellt wegen seines 
äußerst feinen Witterungsvermögens, das ihn Menschen- wie Tierfährten 
weithin aus hartem, keinerlei Eindruck verratendem Felsboden verfolgen 
läßt, selbst wenn etwa der Schafdieb bereits tags vorher über ihn fort¬ 
geeilt ist. Wie südrussische Steppenrinder Tränkplätze auf weite Ferne 
wittern, so tritt wohl auch im Osten der großen Wüste der Araber voll 
Sehnsucht nach dem Abschluß seines Karawanenzugs auf eine Hügclspitze, 
schlürft, das Antlitz gen Osten, gierig die Luft ein und kündet frohlockend: 
„Ich rieche den Nil!" Er hat den Strom entdeckt, ohne ihn zu erblicken. 
Doch freilich die Schärfe des Gesichtssinnes erweckt noch mehr unser 
Staunen. Das Menschen Auge ist ja ein Organ steter Anpassung, hoch¬ 
gradiger Fernblick kann sich mithin nur entwickeln innerhalb dunstfreier, 
weiter Horizonte, so beim Gemsjäger, beim Steppen- und Wüstenmenschen. 
Letzterer aber lernte im unablässigen Daseinskampf diesen weitesten Horizont 
aufs vollkommenste beherrschen mit seinem Falkenauge, und dieser wunder¬ 
bare Späherblick vererbte, verfeinerte sich von Geschlecht zu Geschlecht. 
So sind Trockcnräume die Gebiete der größten Sehschärfe durch alle 
Kontinente. Der Buschmannknabe in Liechtensteins Begleitung auf der 
Riickfahrt vom Kap erkannte noch ziegengroße Antilopen an der afrikanischen 
Küste auf Stundenferne, was Liechtenstein nur mit dem Fernrohr zu 
kontrollieren vermochte. Der Targi der Westsahara zählt bereits die 
Kamele einer eben in den Horizont eingetretenen Karawane, wenn der
	        
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