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149. Eine Mondnacht in Deutsch-Südwestafrika.
Wer immer über Afrika geschrieben hat, der kommt in seinen
Schilderungen auf die großartige Lichtfülle zu sprechen, welche die
Sonne des dunkeln Erdteils über seine unermeßlichen Landschaften
ausgießt, und mit der sie die ausgedörrten und lebensarmen
Fluren belebt und verschönert. Wenige aber haben über die pracht¬
vollen Mond- und Sternennächte berichtet; dennoch sind diese in
ihrer Art herrlicher und anziehender als die allzu blendende Licht¬
fülle des Tages. Diese verklärt zwar die großartige afrikanische
Natur, aber auf die Dauer wird sie dem schwachen Auge
unzuträglich. Hingegen erhellt der Mond mit seinem hier in
Afrika geradezu zauberhaften Glanze die Fluren genug, um auch
den schwächeren Blick alle Einzelheiten der Ilmgegend erkennen
zu lassen, ohne aber dabei die Wildheit der Berge und Klüfte
aufzudecken.
Ich bin in stiller afrikanischer Waldeinsamkeit, weit von jeder
menschlichen Wohnung. Über Felsen und Sanddünen, durch Wald¬
dickicht und Flußbetten läuft unser Ochsengespann rüstig dem
Klosterheim von Windhuk zu, das wir mit dem ersten Morgen¬
grauen zu erreichen gedenken. Ich verlasse die Karre und schreite
ruhig hinterher. Ich verlasse auch und vergesse meine Reisegefähr¬
ten, um Ohr, Auge und Herz den Schönheiten der Natur zu
öffnen. Der Abend senkt sich still auf Berg und Tal hernieder.
Die Sonne ist untergegangen. Nur noch der westliche Himmel ist
von ihrem Purpur gerötet. Auch die Bergriesen tauchen ihre
Häupter noch in den letzten Sonnenstrahl, der bald zu verglühen
droht. Im Osten, am wolkenlosen, nebelfreien Horizont, steigt
der stille Mond über die Gebirgskämme herauf und gießt sein
weißes Licht in reicher Fülle auf den roten Mantel nieder, mit
dem die Abenddämnierung Himmel und Erde zudeckt. Welch eine
Licht- und Farbenpracht! Da gibt's keine end- und leblose Ein¬
öde vor dem erstaunten Blicke. Alles lebt, alles ist Licht, alles regt
sich, von feenhaftem Zauberglanze umflossen. Die kahlen Fels-
gesteine der großen Berge der Umgegend zucken und blitzen; wie
Nachtgeister schweben sie über der verklärten Natur. Tragen die
Vergspitzen auch keine zerfallenen Burgruinen, deren morsche
Mauern sich im Mondlichte verjüngen und beleben, hier in Afrika
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