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2. Das deutsche Volkslied.
ein Räuber, zunächst im Breisgau, dann aber auch weit und breit in
ganz Deutschland besungen; so blieb das Lied, das auf die Eroberung
der Feste Kufstein in Tirol durch Maximilian I. im Jahre 1505 gedichtet
worden, ein volles Jahrhundert im Munde des Volkes durch ganz
Deutschland, gab die Melodie zu vielen andern Liedern her und Anstoß
zu neuen Dichtungen ähnlichen Inhaltes. So sangen sich die Landsknechte
ihre Lieder auf die Pavier Schlacht selbst im fröhlichen Jubel des Sieges,
und dieser Siegesjubel und die kecke, fröhliche Tapferkeit der knechte
Georg Frundsbergs, die aus diesen Liedern tönten, klangen gleichfalls
ein volles Jahrhundert durch alle deutschen Gaue hin und aus allen
deutschen Gauen wider. Ebendahin sind die alten Schweizerlieder auf die
Sempacher und Murtener Schlacht zu rechnen, ebendahin die Lieder von
Heinrich dem Löwen und viele andere.
Der größte Teil der Volkslieder aber besteht aus Liebesliedern,
die zugleich Natur-und Wanderlieder sind, aus Abschiedsliedern,
Liedern von der Treue und von der Untreue, vom Scheiden und Meiden,
vom Wiedersehen nach dem Wandern, das sieben Jahre gedauert hat,
und vom Nimmerwiedersehen; es sind Grüße an die Geliebte, zur Be¬
stellung aufgetragen der lieben Frau Nachtigall, die das Bächlein entlang
läuft; es ist die Trauerklage um die gestorbene Braut, die so lange
dauern wird, bis alle Wasser zu Ende gehen, und, da alle Wasser nimmer¬
mehr vergehen, auch selbst nimmermehr ein Ende nehmen wird. Es
kann kaum etwas Ergreifenderes geben als diese einfachen Gruß- und
Abschiedslieder mit ihrer innigen Singweise:
Innsbruck, ich mutz dich lassen,
Ich fahr' dahin mein' Stratzen
In fremde Land dahin;
oder: Laub und Gras, das mag verwelken,
Aber treue Liebe nicht;
oder: So viel Stern' am Himmel stehen,
An dem blauen, güldnen Zelt;
oder: Es steht ein Baum im Odenwald,
Der hat viel grüne Ast';
oder das Lied von der Treue:
Es stund eine Linde im tiefen Tal —
und so viele andere, von denen oft ein einziges ganze Bände künstlicher
Dichtungen von erlogener und nachgeahmter Empfindung aufwiegt.