2. Das deutsche Volkslied.
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Andere Volkslieder sind Wein- und Eesellschaftslied er, voll
echter, ungekünstelter Lust, voll Witz und Laune, voll aufsprudelnder
Fröhlichkeit, voll heilerer Unbesorgtheit:
Den liebsten Buhlen, den ich Han,
Der liegt beim Wirt im Keller:
Der hat ein hölzin Röcklein an
Und heißt der Muskateller;
oder: Wo soll ich mich hinkehren,
Ich dummes Brüderlein?
Wie soll ich mich ernähren,
Mein Gut ist allzu klein,
sämtlich ebenso wahr, so naturgetreu und einfach wie die Liebes-, Ab¬
schieds- und Naturlieder.
In dieser Volkslyrik hat die zweite Hälfte des 14., hat das 15.
und vor allem das 16. Jahrhundert sich bewegt, und fast zahllos ist
die Menge der Lieder, die damals alle Herzen und alle Lippen erfüllten,
die das Kind schon mitlallte und in die der ergraute Greis noch mit
innigem Wohlgefallen einstimmte. Die höchste Blüte der Volkspoesie
fällt in den Anfang des 16. Jahrhunderts, in die Zeit, als noch diese
Lieder bloß mündlich im Umlauf oder höchstens auf einzelnen Blättern
gedruckt zu haben waren. In der Mitte des 16. Jahrhunderts wurden
schon Sammlungen veranstaltet, und im letzten Viertel begann nach und
nach die von dem echten Volksliede gänzlich ausgeschlossene Gelehrsamkeit
und vor allem die Fremdländerei auf diese Naturblüte der Poesie Ein¬
fluß zu üben. In der Zeit der gelehrten Poesie des 17. und der Reimerei
des angehenden 18. Jahrhunderts war das Volkslied völlig vergessen
und verachtet. Da wies zuerst Herder in seinem Buche „Von deutscher
Art und Kunst" und in seinen „Stimmen der Völker" wieder auf diese
edeln Perlen unserer Poesie hin, und Goethe bemächtigte sich dieser
Stoffe, die unter seinen lyrischen Gedichten mit besonderem Glanze hervor¬
leuchten. Doch dauerte es noch lange, bis das Volkslied allgemein zu dem
Einflüsse gelangte, den es, ist das poetische Gefühl des Volkes gesund,
notwendig haben muß. Volle dreißig Jahre dauerte es nach Herder,
bis Klemens Brentano mit Achim von Arnim das „Wund er Horn"
herausgab und durch diese voll des tiefsten poetischen Sinnes veranstaltete
Sammlung dem Volksliede die sichere und herrschende Stellung in unserer
Dichtung erwarb, die es seitdem behauptet und für alle Zeit behaupten
wird. August Dilmar.