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das Altertum so voll sinnlicher Kraft, so voll idealer Schönheit
gesehen hatte, sie sind zu Traumgesichten der dichterischen Phan¬
tasie verflüchtigt. Die gebildete Welt wendet sich von den Göttern
Homers der vielsprachigen Philosophie zu, deren Systeme in
den Endschluß ausgehen: es gibt keine Götter! Die Masse läuft
der Isis und dem Serapis nach, die aus Ägypten ihren Einzug
in Rom gehalten haben, erbaut sich an den Gaukelkünsten etru-
rischer Wahrsager, an den geheimnisvoll berauschenden Feierlich¬
keiten der Mysterien und an den sinnbetörenden Festen der großen
Eöttermutter Cybele. —
Zu Anfang wenig oder nicht beachtet, sind aber über das
weite Gebiet des römischen Reiches schon hier und da christliche
Gemeinden ausgestreut. Von Jerusalem ist der neue Glaube aus¬
gegangen. Schon hat er — etwa um die Mitte des ersten Jahr¬
hunderts — Rom und Alerandrien erreicht. Dazwischen sind, zu¬
meist in den fünfziger Jahren durch den Apostel Paulus, eine
Reihe griechischer, makedonischer, kleinasiatischer, syrischer Gemein¬
den gegründet worden. Unter ihren noch wenig zahlreichen Mit¬
gliedern bildet die jüdische Nationalität einen stark hervortretenden
Bruchteil. Dazu kommen hellenische Sklaven und Freigelassene.
Es sind nicht viel Reiche, noch viel Gebildete, aber viel geringe
Leute, Handwerker, Soldaten, Krämer, Fischer, Zöllner, — das
Unedle vor der Welt und das Verachtete.
Auf dieser kleinen Genossenschaft, entblößt von äußeren
Mitteln, verschwindend in dem Gebrause der Großstädte, ruht
das Auge der Geschichte. Sie schließt die Kraft in sich, die die
Welt des Römerreichs überwinden wird.
Von außen angesehen, erschien die christliche Gemeinde als
eine neue Genossenschaftsbildung gleich zahllosen anderen Ver¬
bänden derselben Art.
Die römische Welt des ersten Jahrhunderts war mit reli¬
giösen Vereinigungen übersät. Man hatte keine feste Religion
mehr, aber Religionen, Kulte, Verehrungen, Gebräuche. Es gab
niemand, namentlich in den unteren Volksklassen, der nicht irgend¬
einem Verein der Art angehörte. Da war eine Gottheit des
Vereins, jedenfalls die Gottheit des gerade regierenden Kaisers,
die man auf gemeinsamen, regelmäßig allmonatlichen Zusammen¬
künften verehrte. Da gab es geheimnisvolle Einweihungen und