Full text: [Abteilung 2 = Klasse 3 und 2 (Achtes und neuntes Schuljahr), [Schülerband]] (Abteilung 2 = Klasse 3 und 2 (Achtes und neuntes Schuljahr), [Schülerband])

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ein solches, in dem das eigene Leben und Streben als ein aus 
ihm Erzeugtes unverlierbar gehegt und getragen werde. Gefühle 
von dieser Art machen den eigentlichen Herzschlag der Religion 
aus. Die Vorstellungen, worin sie sich kleidet, die begrifflichen 
Formeln, worin Philosophen und Theologen die Vorstellungen 
zu fassen suchen, sind das Zufällige und Vergängliche an der 
Religion. Der Wert der Vorstellungen und Begriffe liegt darin, 
daß sie als Symbole, in denen das Gefühl gegenständlich wird, 
Gemeinschaft und Mitteilung des religiösen Lebens ermöglichen: 
und nur in der Gemeinschaft eines dauernden Volkslebens ist 
überhaupt Religion möglich; der Einzelne hat an ihr Teil wie 
an Sprache und Dichtung, an Sitte und Recht. — Übrigens 
sind in dieser Absicht begriffliche Formeln nie das Wirksamste 
gewesen; wichtiger waren stets als Träger und Erreger des reli¬ 
giösen Lebens die Kunst, nach Goethe die Vermittlerin des Un¬ 
aussprechlichen, und der Kult, mit dem jene aufs innigste ver¬ 
schmolzen auftritt; sie haben die Aufgabe, die Beziehung des 
Menschen zum Übersinnlichen und Überbegrifflichen auf sinnlich- 
sichtbare Weise anzudeuten. 
Ich glaube nun, daß derartige Gefühle zu den unverlierbaren 
Eigenheiten der menschlichen Natur gehören. Die Formen, in die 
sie sich kleiden, mögen auch in der Zukunft sich wandeln, das Wesen 
wird bleiben. Wie immer wissenschaftliche Forschung die Vorstellung 
von der Wirklichkeit ausbauen mag, für das religiöse Gefühl 
wird stets Raum bleiben. Religion wird nie aussterben; sie ent¬ 
spricht zu sehr dem innersten und tiefsten Bedürfnis des mensch¬ 
lichen Gemüts. Es bedarf im Glück, um nicht in Übermut 
und Verblendung unterzugehen, des Aufblicks zu dem Höheren, 
in dem es mit Freude und Dank ausdrückt, daß es sein Glück 
nicht als verdienten Lohn, sondern als freie Gabe hinnimmt; es 
bedarf im Untergang seiner Hoffnungen und Pläne des Hinblicks 
darauf, daß die irdischen Dinge nicht von absoluter Bedeutung 
sind; es bedarf in der absoluten Ungewißheit aller menschlichen 
Dinge und der tiefen Unwissenheit über die eigene Zukunft, um 
nicht einem haltlos umtreibenden Aberglauben anheimzufallen, der 
Zuversicht, daß, was immer kommen möge, ihm zum Heile ge¬ 
schickt sei; es ist sicher nicht Zufall, daß, wo dieser Glaube zurück¬ 
weicht, der Aberglaube sich ausbreitet.
	        
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