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(1799—1804), die durch ihre lebensvolle Handlung, durch die Würde und
Hoheit ihrer Gedanken, durch den bezaubernden Glanz und die funkelnde
Pracht ihrer Sprache alle Herzen ergreifen und „auf immer der Stolz und
der Ruhm der deutschen Bühne bleiben werden". Leider endete des Dichters
Leben allzufrüh: 9. Mai 1805; er wurde der Welt „mitten in der vollendet-
sten Reife seiner geistigen Kraft entrissen und hätte" — so versichert sein
Freund W. v. Humboldt — „noch Unendliches leisten können". Goethe über-
lebte den treuen Genossen um 27 Jahre, und seine dichterische Thätigkeit
dauerte fort bis ins hohe Greisenalter. Unter den größeren Werken seiner
späteren Periode ist besonders „Aus meinem Leben. Dichtung und
Wahrheit" hervorzuheben, eine ebenso anziehende als gehaltreiche Schil-
derung seiner Jugendzeit. Dann erschien der „w est östliche D iv an", eine
Sammlung von Gedichten im morgenländischen Gewände, in welchen uns
die heitere Lebensweisheit des alternden Dichters, der im Orient „Patri-
archenlust kostet", erfreulich entgegentritt. Die großartigste aber aller Dich-
tungen, die er geschaffen, ist der „Faust", ein Meisterwerk ohnegleichen, das
noch nach Jahrhunderten die Bewunderung aller finden wird, deren Sinn
für die Macht und Herrlichkeit der Poesie lebendig ist. Nicht lange nach der
Vollendung des „Faust" starb Goethe, dreiundachtzigjährig, am 22. Mai 1832.
Seine Dichterwirksamkeit umfaßt sechzig Jahre (1772—1832). Er ist Deutsch¬
lands größter Dichter, Schiller der Lieblings dichter des deutschen
Volkes.
2. Schillers und Goethes Zeitgenossen. Unter den Zeitgenossen
Schillers und Goethes war der berühmteste der Schriftsteller Jean Paul,
der, an der Grenzscheide des 18. und 19. Jahrhunderts blühend, fast den Ruf
der großen weimarischen Dichter zu erreichen schien. Als Volksdichter er-
langte Hebel den gefeiertsten Namen.
3. Die Romantiker. Eine neue Dichterreihe beginnt mit der söge-
nannten romantischen Schule, die seit dem Ausgange des 18. Jahr-
Hunderts drei bis vier Jahrzehnte hindurch einen tiesgreifenden Einfluß auf
die Entwickelung der deutschen Poesie geübt hat. Es war ein hoher Gedanke,
der die Romantiker bewegte, ein edles Ziel, das sie erstrebten: sie suchten „die
Einheit von Poesie und Leben" herzustellen, wollten, wie einer von ihnen sich
ausdrückte, die „Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesell-
schaft poetisch machen". Kunst, Wissenschast, das gesamte Leben sollte vom
Geist der Poesie durchdrungen, sollte Poesie werden. Freilich blieb so kühnen
Verheißungen und Vorsätzen gegenüber die dichterische Kraft der Romantiker
sehr zurück; ihre Führer waren mehr feinsinnige Kenner der Poesie, als
schöpferische Geister von der Größe unserer Goethe und Schiller. Doch er-