Full text: Lesebuch zur Einführung in die deutsche Litteratur (Teil 6, [Schülerband])

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Aufenthalt in Mannheim war für ihn unhaltbar geworden. Da kam die 
Rettung von unbekannten Freunden; der Konsistorialadvokat Körner in 
Leipzig, dessen Freund Huber, die Schwestern Minna und Dora Stock 
(Minna Stock war Körners Braut) luden ihn ein, nach Leipzig überzu¬ 
siedeln. Gerne folgte er; hinter ihm lagen neue Enttäuschungen, vor 
ihm eine ungewisse Zukunft. Aber großen Ruhm hatte er geerntet; drei 
Dramen hatten bereits ihren Weg über die deutschen Bühnen gemacht; 
das vierte, „Don Carlos", war schon in Bauerbach entworfen und 
langsam fortgeschritten; aber auch iu seinem unfertigen Zustande hatte er 
dem Dichter schon Ehre gebracht; Karl August von Weimar war als Gast 
am Hofe in Darmstadt gewesen und hatte Schiller zu sich beschieden; Schiller 
hatte ihm Stücke aus Don Carlos vorgelesen, und der Dank des Herzogs 
bestand in der Verleihung des Titels eines Weimarischen Hofrats. 
Als Schiller in Leipzig ankam (Frühling 1785), war Körner nicht 
mehr dort; er war inzwischen als Konsistorialrat nach Dresden berufen 
worden und in sein neues Amt eingetreten. Den Sommer brachte Schiller 
in Leipzig zu und folgte dem Freunde in sein gastliches Haus, als der¬ 
selbe seine Braut heimgeführt hatte. Fast zwei Jahre verweilte Schiller 
in dieser glücklichen Umgebung. Zum erstenmal umfing ihn die Luft 
eines Gesellschaftskreises, in welchem die feinen Umgangsformen im vollen 
Einklang standen mit einem durchgeistigten Gedankenaustausche und einem 
vollen Verständnisse für jede künstlerische Bestrebung, namentlich für Poesie 
und Musik. Die rücksichtsvolle Fürsorge des welterfahrenen Freundes be¬ 
freite ihn von dem Drucke seiner Geldverlegenheiten, ohne ihm Verbindlich¬ 
keiten aufzuerlegen; der stürmischen Vergangenheit wurde er entrückt; seine 
Zukunft gestaltete sich zu einem klareren Bilde; so gewann in ihm der 
Mensch, wie der Künstler nach allen Seiten an Gesundung und Reife. Sein 
herrliches Lied „An die Freude" hatte den Eintritt in diesen Freundes¬ 
kreis verherrlicht: manches schöne Gedicht war dem Vollgenusse dieses ge¬ 
schenkten Glückes entsprossen; die vollendetste Frucht dieser Einwirkungen 
war der „Don Carlos", welcher in der Ruhe des Landhauses zu 
Loschwitz zum Abschlüsse gebracht wurde. 
Eine für das Leben geschlossene treue Freundschaft begleitete Schiller, 
als er im Sommer 1787 Dresden verließ. Er besuchte Weimar (der 
Herzog und Goethe waren abwesend), begab sich nach Meiningen zu seinem 
Schwager Reinwald, welcher inzwischen Schillers Schwester Christophine 
geheiratet hatte, und suchte auch in Bauerbach seine mütterliche Freundin, 
Frau von Wolzogen, auf. Im Frühling 1788 wanderte er in das 
Saalethal zurück und nahm seinen Aufenthalt inVolkstädt bei Rudol¬ 
stadt; daselbst schrieb er die „Geschichte des Abfalls der ver¬ 
einigten Niederlande".
	        
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