Full text: Lesebuch zur Einführung in die deutsche Litteratur (Teil 6, [Schülerband])

26 
An dem dritten Morgen zur rechten Messezeit 
Sah man bei dem Münster den ganzen Kirchhof weit 
Von der Landleute Weinen also voll: 
Sie dienten ihm im Tode, wie man lieben Freunden soll. 
Als vom Gottesdienste verhallt war der Gesang, 
Mit ungefügem Leide des Volkes Menge rang. 
Man ließ ihn aus dem Münster zu dem Grabe tragen. 
Da hörte man auch anders nichts als Weinen und Klagen. 
Das Volk mit 'lautem Wehruf schloß im Zug sich an: 
Froh war da niemand, weder Weib noch Mann. 
Eh' er bestattet wurde, las und sang man da: 
Hei! was man guter Pfaffen bei seiner Bestattung sah! 
Bevor da zu dem Grabe kam das getreue Weib, 
Rang sie mit solchem Jammer um Siegfricdens Leib, 
Daß man sie mit Wasser vom Brunnen oft begoß: 
Ihres Herzens Kummer war über die Maßen groß. 
Es war ein großes Wunder, daß sie zu Kräften kam. 
Es halfen ihr mit Klagen viel Frauen lobesam. 
„Ihr meines Siegfrieds Mannen," sprach die Königin, 
„Erweist mir eine Gnade aus erbarmendem Sinn: 
Laßt mir nach meinem Leide die kleinste Gunst geschehn, 
Daß ich sein schönes Angesicht noch einmal dürfe sehn." 
Da bat sie im Jammer so lang und so stark, 
Daß man zerbrechen mußte den schön geschmiedeten Sarg. 
Hin brachte man die Königin, wo sie ihn liegend fand. 
Sein schönes Haupt erhob sie mit ihrer weißen Hand 
Und küßte so den Toten, den edeln Ritter gut; 
Ihre lichten Augen vor Leide weinten sie Blut. 
Ein jammervolles Scheiden sah man da geschehn. 
Man trug sie von dannen, sie vermochte nicht zu gehn. 
Da lag ohne Sinne das herrliche Weib; 
Vor Leid wollt' ersterben ihr viel wonniglicher Leib. 
Neununddreißigstcs Abenteuer. 
Wie Günther, Hagen und Kriemhild erschlagen wurden. 
Nun war das furchtbare Morden zu Ende; Ströme Blutes waren 
vergossen; Rüdiger mit seinen Mannen war erschlagen; die Amelungen 
waren sämtlich gefallen; zum erstenmale in seinem Leben hatte der bis
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.