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Hilfe angerufen; er befreit dieselbe aus ihrer Bedrängnis und vermählt
sich mit ihr. Aber bald zieht er wiederum aus und gelangt nach mancherlei
Zwischenfällen auf die Burg des Gral. Dort sollte er den an einer
Wunde siechen König Amfortas, seinen ihm unbekannten Oheim, durch
eine Frage von seinen Leiden befreien; aber er unterläßt die Frage in seiner
tumxlieid (Einfalt, Blödigkeit), weil sein Lehrer Gurnemanz ihm verboten
hatte, viel zu fragen; darum wird er mit Schimpf und Hohn aus der
Gralsburg entlassen. Aber die Gralsbotin Kundrie la Sorziöre erreicht
durch den Fluch, welchen sie an den Artushof bringt, daß Parzival aus
der Tafelrunde verstoßen wird. Da gerät er in Zwiespalt mit Gott, der
Welt und sich selber, der zwivel ergreift ihn; fünf Jahre irrt er plan-
und ziellos umher; an einem Charfreitag gelangt er zu einem Einsiedler
Trevrizent, dem Bruder seiner Mutter Herzeloide und des Königs Am¬
fortas; mit starken Worten mahnt ihn dieser zur Buße und Rückkehr zu
Gott; da geht Parzival in sich und wird von echter Reue erfüllt; die
Tafelrunde nimmt ihn wieder auf, zum zweitenmal wird er in die Grals¬
burg geführt; nun unterläßt er die Genesung bringende Frage nicht,
Amfortas wird geheilt, und das Gralkönigtum geht auf Parzival über;
Conduiramur und die Kinder werden mit Parzival wieder vereinigt; so
gelangt er zur suelàtz (Glückseligkeit), deren er dadurch würdig geworden ist,
daß er auch in der Zeit des Zweifels den Glanz seines ritterlichen Namens
durch keinen Flecken getrübt hat.
Den Schluß der Dichtung bildet die Geschichte von Parzivals Sohne
Lohengrin, welcher als Schwanritter nach Cleve kommt und Herzog
von Brabant wird.
Unter solchen Führungen reift Parzival zu einem Ideal des Ritter¬
tums, welches über den Vorbildern der französischen Romane hoch erhaben
steht. Man konnte Wolfram wohl den Vorwurf machen, daß er den Gang
seiner Dichtung durch unzählige Abschweifungen und Zwischenstücke dunkel
gemacht habe; aber die Reinheit seiner Sitten und die Lauterkeit seiner
Gesinnung konnte kein Zweifel treffen.
3. Meister Gottfried von Straßburg ist nach seinen Lebens¬
umständen ebenfalls unbekannt; wahrscheinlich nahm er in der Stadtver¬
waltung Straßburgs eine angesehene Stellung ein. Zweifellos war er
im Besitze einer nicht gewöhnlichen Gelehrtenbildung; durch seinen Umgang
mit dem Adel waren ihm die Formen des höfischen Verkehrs durchaus
geläufig geworden. Dabei war er zwar ein feiner Kenner der Menschen¬
natur, hatte jedoch aus diesen Kenntnissen weder eine größere Sittenstrenge,
noch eine Achtung vor den religiösen Grundgesetzen für sich gewonnen. Die
Kunst seiner poetischen Schilderung, seine glänzende Herrschaft über die
Sprache, die Feinheit seiner eingestreuten Bemerkungen sind unerreicht; aber