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Darstellungen aus Geschichte und Kulturgeschichte.
selbst von allen gesehen werden. Hier blieb er, während die Messe gehalten
wurde, dann stieg er vom Throne herab und kehrte zur Pfalz Karls des Großen
zurück.
In der Pfalz war inzwischen an marmorner Tafel das Königsmahl mit
auserlesener Pracht bereitet. Mit den Bischöfen und Herren setzte sich der neue
König zu Tische und es dienten ihm beim Krönungsmahle die Herzoge der deut¬
schen Länder. So ist es damals zuerst geschehen und oft dann in der Folge;
es war ein Zeichen, daß die Herzoge der einzelnen Länder den König, der
über das ganze Volk gefetzt war, als ihren Herrn erkannten, daß sie nichts
anderes fein sollten und wollten als die Ersten seines Gefolges. Denn wie an
dem Hofhält der deutschen Fürsten von alters her die Mächtigsten und An¬
gesehensten unter den Gefolgsgenossen als Mundschenk, Kämmerer, Truchseß und
Marschall die Person der Fürsten umgaben und ihrer warteten, so leistete da¬
mals der Lothringerherzog Giselbert, in dessen Gebiet Aachen lag, die Dienste
des Kämmerers und ordnete die ganze Feier, der Frankenherzog Eberhard sorgte
als Truchseß für die Tafel, der Schwabenherzog Hermann stand als oberster
Mundschenk den Schenken vor und Arnulf von Bayern nahm für die Ritter
und ihre Pferde als Marfchall Bedacht, wie er auch die Stellen bezeichnet hatte,
wo man lagern und die Zelte aufschlagen konnte. Denn die alte Kaiserstadt
reichte nicht aus die Zahl aller der Herren, die nach Aachen geritten waren, in sich
zu fassen. Als die Festlichkeiten beendet waren, lohnte Otto einem jeden der
Großen mit reichlicher Gunst und großen Geschenken und froh kehrten alle in
die Heimat zurück.
Ein solches Fest hatten die deutschen Völker nie bisher gesehen und nie
ist eine Krönungsfeier von gleicher Bedeutung wieder begangen. Sie gab dem
Baue, den König Heinrichs Taten begründet hatten, die Weihe. Die Vereinigung
aller deutschen Stämme unter ein Haupt fand hier ihren öffentlichen Ausdruck; man
beging gleichsam das Fest der Gründung des neuen Reichs. Die Herrschaft,
welche die Nachkommen Karls des Großen über die deutschen Lande geübt hatten,
war gebrochen und vernichtet; es hatte eine neue Ordnung der Dinge begonnen,
als sich die Großen aus allen deutschen Gauen freiwillig einem Herrscher beugten,
der dem sächsischen, jenem reinsten deutschen Stamme entsprossen war, der zuletzt
die alte Freiheit der Väter verteidigt hatte. Die Krone der Franken mit ihrem
verblichenen Scheine hatte König Heinrich verschmäht; erst durch seine Taten ge¬
wann sie frischen Glanz und strahlend empfing sie jetzt als Deutschlands Krone
sein Sohn in der Kaiserstadt Karls des Großen aus Priestershand. Es war
keine leere Förmlichkeit, wenn die Fürsten, die einst seinen Vater als ihren
Lehnsherrn anerkannt hatten, jetzt ihm Dienste leisteten, wie sie selbst von ihren
Mannen empfingen. Das Königtum war schon mehr als eine Vorstandschaft
des sächsischen Herzogs und Otto ganz der Mann um jedes Recht aufzunehmen,
das nur je ein König in deutschen Landen besessen hatte. Erscheint Heinrich
fast noch mehr als Sachsenfürst denn als König der Deutschen, so war Otto,