Full text: [Theil 4 = (Tertia), [Schülerband]] (Theil 4 = (Tertia), [Schülerband])

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B. Darstellungen aus der Geographie 
8. Darstellungen au? der Geographie. 
43. Ein Spaziergang in die Alpen. 
Bohner, Leben und Weben der Natur. 
VorZI. das 6oä. Xr. 127: Teil und sein Sohn von Schiller. 
Die Sonne steigt soeben aus ihrem Äthermeere einpor und über¬ 
gießt den zarten Wolkenschleier, welcher das Hochgebirge umhüllt, mit 
ihrem zauberhaften Lichte. Die Spitzen der Gletscher tauchen wie Feeen 
aus dem Purpur der Morgenröte auf. Goldumsäumte Wolkengebilde 
begrenzen den fernen Horizont. 
Unser Weg führt durch blühende Gefilde und bewaldete Hügel, wo 
der Hauch des Zephyrs mit den Gipfeln der Bäume kost und der lustige 
Waldbach über zartbenrooste Felsen, perlt. 
Bald eröffnet die Alpenwelt vor unsern Blicken ihre Reize und ihre 
Schrecken. Die Sonne spiegelt in dem zarten Staubregen prächtiger 
Wasserfälle ihren zauberhaften Farbenschmelz. Vor uns liegt ein klarer 
Alpensee, in dem sich, wie in einem prächtigen Spiegel, der Glanz des 
Himmels und die jähen Ufergelände abbilden. 
Dann steigen wir weiter durch einen Tannenwald aufwärts, von 
lieblichenr Epheu und würzig duftenden Cyklamen *) umgeben. Der See 
verschwindet vor unseren Blicken, ein reißender Waldbach durchbraust das 
enge Thal, wo die Sonne täglich nur kurz eindringen kann, und wo die 
Hirten das Heu über Gabelstangen trocknen müssen. Malerisch gelegene 
Alpenhütten verkünden das friedliche Leben der Sennen. 
Nach einer Stunde starken Steigens ändert sich die Scenerie des 
Weges in überraschendem Wechsel. Plötzlich stehen wir in einem Labyrinthe 
von wild durcheinanderliegenden Felsentrümmern, vor den Resten eines 
mächtigen Bergsturzes, der uns eine Ahnung giebt von der unberechen¬ 
baren Gewalt des Allmächtigen, der die Alpen aus dem Abgrunde der 
Erde emporgehoben, dessen Winke Feuerstammen und Erdbeben, Lawinen, 
Bergstürze, Blitze und Wolkenbrüche — als willige Diener zu Gebote 
stehen. 
Der Bergpfad wird steiler und gefährlicher; zu unsern Füßen gähnet 
ein schauerlicher Abgrund; höher und höher erheben sich die Felsenhörner 
zürn Himmel. 
Ze höher wir klimmen, desto rauher wehen die Lüfte, desto mehr 
lichtet sich der Hochwald, desto niedriger hält sich der Pflanzenwuchs; 
aber um so frischer und kräftiger werden die Kräuter, um so zarter und 
zierlicher die Blümchen. Endlich in einer Höhe von 2479 m über dem 
Meeresspiegel erstirbt fast das ganze Gewächsreich. Alle flacheren Stellen 
*) Erdscheibe, eine Alpenpflanze.
	        
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