Full text: [2 = Mittlere Lehrstufe, [Schülerband]] (2 = Mittlere Lehrstufe, [Schülerband])

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VII. Kulturgeschichte und geschichtliche Schilderung. 
kecke, fröhliche Tapferkeit der Knechte Georg Frundsbergs, die aus diesen 
Liedern tönten, klangen gleichfalls ein volles Jahrhundert durch alle deutschen 
Gaue hin und aus allen deutschen Gauen wider. Ebendahin sind die alten 
Schweizerlieder auf die Sempacher und Murtenschlacht zu rechnen; ebendahin die 
Lieder vom Möringer, Heinrich dem Löwen, vom Ritter Trimunitas 
und viele andere. 
Der größte Teil der Volkslieder aber besteht aus Liebesliedern, die zugleich 
Natur- und Wanderlieder sind, aus Abschiedsliedern, Liedern von der Treue und 
von der Untreue, von Scheiden und Meiden, vom Wiedersehen nach dem Wandern, 
das sieben Jahre gedauert hat, und vom Nimmermehrwiedersehen; es sind Grüße 
an die Geliebte, zur Bestellung aufgetragen der lieben Frau Nachtigall, die das 
Büchlein entlang läuft; es ist die Trauerklage um die gestorbene Braut, die so lange 
dauern wird, bis daß alle Wasser zu Ende gehen, und, da alle Wasser nimmermehr 
vergehen, auch selbst nimmermehr kein Ende nehmen wird. Es kann kaum etwas Er¬ 
greifenderes geben, als diese einfachen Gruß- und Abschiedslieder mit ihrer innigen 
Melodie: „Innsbruck, ich muß dich lassen, ich fahr' dahin mein Straßen, in fremde 
Land hinein"; — oder: „Warum bist du denn so traurig? Bin ich aller Freuden 
voll? Meinst, ich sollte dich vergessen? Du gefällst mir gar zu wohl — Laub und 
Gras das mag verwelken, aber treue Liebe nicht; kommst mir zwar aus meinen 
Augen, aber aus dem Herzen nicht"; — oder: „So viel Stern' am Himmel stehen, 
an dem blauen güldnen Zelt", — oder: „Es steht ein Baum im Odenwald, der hat 
viel grüne Äst'", — oder das Lied von der Untreue „Es stehen drei Sternlein am 
Himmel" und von der Treue „Es stund eine Linde im tiefen Tal", und so viele 
andere, von denen oft ein einziges ganze Bünde künstlicher Poesie voll erlogener 
oder nachgeahmter Empfindungen aufwiegt. Und welche Macht solche Volkslieder 
und alte Volksmelodien besitzen; wie sie augenblicklich wieder einschlagen und alle 
Herzen erfüllen und auf allen Lippen schweben, sowie sie nur wieder erweckt werden, 
das haben wir ja selbst noch vor einigen Jahren gesehen — wie griff die Melodie 
des „Mantelliedes" mit einem Male so allgemein und so mächtig durch, und es 
war dies die aus dem 16. Jahrhundert stammende Volksmelodie eines Volksliedes, 
dessen Anfang lautet: „Es waren einmal drei Grafen gefangen". 
Andere Volkslieder sind Wein- und Gesellschaftslieder, voll echter ungekünstelter 
Lust, voll Witz und Humor, voll aufsprudelnder Fröhlichkeit, voll heiterer Un¬ 
besorgtheit: „Der liebste Buhle, den ich hau, der liegt beim Wirt im Keller, der 
hat ein hölzin Röcklin an und heißt der Muskateller"; oder: „Wo soll ich mich 
hinkehren, ich dummes Brüderlein? wie soll ich mich ernähren, mein Gut ist allzu¬ 
klein" — sämtlich ebenso wahr, so naturgetreu und einfach, wie die Liebes-, Ab¬ 
schieds- und Naturlieder. 
Manchen dieser Lieder fehlt es nicht an scharfen Ecken und derben Natürlich¬ 
keiten, wie das kaum anders sein kann; aber roh ist, zumal unter den älteren 
Volksliedern, wohl kein einziges. Der Umstand ist dagegen schon öfters geltend 
gemacht worden, daß diese Lieder das bewegte, unruhige, wanderlustige Leben des
	        
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