X. Weltliche Lyrik.
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3. Der deutsche Stamm ist alt und stark,
Voll Hochgefühl und Glauben;
Die Treue ist der Ehre Mark,
Wankt nicht, wenn Stürme schnauben.
Es schafft ein ernster, tiefer Sinn
Dem Herzen solchen Hochgewinn,
Den uns kein Feind mag rauben.
4. So spotte jeder der Gefahr,
Die Freiheit ruft uns allen.
So will's das Recht, und es bleibt
wahr,
Wie auch die Lose fallen.
Ja, sinken wir der Übermacht,
So wolln wir doch zur Todesnacht
Glorreich hinüberwallen.
Fr. Schlegel.
214. Die Auswanderer.
1. Im fernen Land der Schwaben
Erwuchs vor manchem Jahr
Ein Paar von edeln Knaben,
Ein auserwähltes Paar.
Die haben's arg getrieben,
Bis Hab' und Gut verschrieben,
Ein Rest kaum übrig war.
2. Und einer sprach zum andern:
„Der Zeiten Rot wird schwer!
Gesell, wir müssen wandern —
Hier pumpt uns keiner mehr.
Der Rest, und so viel Schulden?
Nimm deinen letzten Gulden,
Wir fahren über Meer."
3. Da huben sie die Beine
Und liefen manchen Tag
Und liefen bis zum Rheine,
Allda der eine sprach:
„Schau, sind wir nicht am Ziele?
Da fahren Schifflein viele
Mit hellem Ruderschlag!
4. „Wie geht's mit lust'gem Schalle
Hinab den schönen Rhein
Die rauschen doch wohl alle
Ins fremde Land hinein?
Laß uns den Abschied trinken!
Ein Wirtsschild seh' ich blinken:
Im Kranz der Becher Wein.
5. „Den Trunk noch, dann auf immer
Fahr wohl, du deutsches Land!
Wir gehn und kehren nimmer,
Du selbst hast uns verbannt.
Fahr wohl, du deutsche Erde,
Mit Unmut und Beschwerde —
Gar übel ist dein Stand!"
6. Sie saßen in der Lauben,
Vor sich St. Bachi Schlauch,
Draus Rüdesheimer Trauben
Verstreuten würz'gen Hauch;
Sie tranken Trank auf Tränklein,
Der Wirt erzählte Schwänklein,
Wie's so am Rhein der Brauch.
7. Sie tranken, o, sie tranken —
Zu köstlich war der Wein!
Es kamen wohl Gedanken:
„Hier ist es herrlich sein!
Mag's wohl auch solche Reben
Im Land da drüben geben?"
Der Abend brach herein.
8. Und reicher stets und reicher
Quoll jener Traube Blut;
Des Himmels Blau ward bleicher,
Tiefer des Westens Glut;
Der Rhein trieb rote Rosen —
Den beiden Heimatlosen
Ward's wunderbar zu Mut.
9. Der Rheinstrom trieb so mächtig,
Boot wallte stolz au Boot;
Der E h r e n s e l s schwamm prächtig
Im blut'gen Abendrot;
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