Full text: [2 = Mittlere Lehrstufe, [Schülerband]] (2 = Mittlere Lehrstufe, [Schülerband])

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XXII. Denk- und Sittensprüche, Lebensregeln, Sprichwörter. 
62. Die Natur ist Gottes Buch; 
Doch ohne Gottes Offenbarung 
Mißlingt darin der Leseversuch, 
Den anstellt menschliche Erfahrung. 
63. Wer ein Kleines recht vollbringt, 
Hat den Trost, daß er möcht' etwas 
leisten. 
Wer nach etwas Großem ringt, 
Hat den Ruhm, daß er sich durft' er¬ 
dreisten. 
64. Wenn du Gott wolltest Dank für jede 
Lust erst sagen, 
Du fändest gar nicht Zeit, noch über 
Weh zu klagen. 
65. Des Herbstes mag sich freun, was 
eine Frucht getragen, 
Da, was nur Blätter trug, vor seinem 
Hauch muß zagen. 
66. Es will so leicht kein Mensch 
Dem anderen behagen; 
Gott muß sie allesamt, 
Die Widrigen, ertragen.*) 
67. Der Ruhm, der lärmend in die Welt 
drommetet, 
Wie oft er unser Urteil trügt! 
Es gibt Verdienst, von dem die Welt 
nicht redet, 
Und das unendlich schwerer wiegt. 
68. Viel durch Gewalt erringst du, 
Wenn dir's am Äußern liegt; 
Die Herzen, nie bezwingst du, 
Die nur die Huld besiegt. 
69. Nichthaben macht uns noch nicht 
arm, 
Das tragen wir gelassenen Mutes. 
Das Habenwollen, das leidige, 
tut es, 
Das schafft den herben Entbehrungs¬ 
harm. 
70. Unser Denken, eine Rechnung, 
Wo so manche Nummer steht; 
Und ein langer Strich das Leben, 
Welcher durch die Rechnung geht. 
71. Bellen — das laß dem Hunde! 
Stechen — das laß der Schlange! 
Aus lieblichem Menschenmunde 
Tön' es mit holderem Klange! 
Nichts sei allhier, was tobe, was. ver¬ 
wunde ! 
72. Verlaß dich auf dein Urteil, 
Das über dich selbst gefällte, nicht! 
Man kennt trotz aller Spiegel 
Doch nicht sein eigen Angesicht. 
73. Freiheit, so viel ihr immer wollt, 
erfechtet euch. 
Wahn, Leidenschaft, Begierde, Torheit 
knechtet euch. 
74. Der Mensch, so klug 
Für andere, so voller Weisheits¬ 
licht — 
Hat Rat genug 
Für alle Welt, nur für sich selber 
nicht. 
75. Was will der höhere Mensch? — Daß 
mit Gehalt, 
Mit Sinn und Zweck erfüllt sein 
Leben sei; 
Von welcherlei Gestalt, 
Ob Glück, ob Unglück, das ist einerlei. 
76. Weisheit und Tugend wachsen auf 
hartem Boden.**) 
'■) Von 66—75 von G.Fr. Daumer. — **) Von76—89 von Albert Maria Weiß.
	        
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