Heinrich I V 1056 — 1106.
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eingesetzt, die Krönung Heinrichs IV zu Achen wäre schwerlich so unge¬
stört erfolgt. Auf einem Hoftag zu Köln erhielten Gottfrid der Bärtige
und Balduin von Flandern alles, was sie jetzt wünschten, gewärtH,
auf einem Reichstag zu Negensburg ward Kärnten demselben Kon-
rad, der gegen das Leben des Kaisers sich verschworen hatte, übertragen.
Baiern verblieb vorläufig der Kaiserin, die Verwaltung Italiens übernahm
der jetzt erst über die Alpen heimkehrende Papst in Gemeinschaft mit Gott¬
frid. Die Erziehung des Königs und die Regentschaft war von den Fürsten
willig der Mutter, der Kaiserin Agnes, übertragen worden. Der redliche
Wille den Sohn zur Ähnlichkeit mit dem von ihr herzlichst beweinten, großen
Vater zu erziehn und ihm das Reich in möglichster Ordnung zu erhalten,
ist ihr nicht abznsprechen und die Verleumdungen, welche wegen der vielleicht
zu arglosen Hingabe an ihrem Wesen zusagende Vertrante, namentlich an
den Bischof Heinrich von Augsburg'), gegen sie erhoben wurden,
beweisen hinlänglich, wie sehr sie selbstsüchtigen, dem Königtum feindseligen
Absichten im Wege stand1 3). Daß ihr die selbst bei zum Thron gebornen
Männern nicht gar zu häufige Fähigkeit, alle die mannigfaltigen und ver¬
wickelten Verhältnisse des großen Reichs mit freiem Blick zu umfaßen abgieng,
daß sie, der ascetischen Richtung Clugnys von Jugend aus zugethan, die
Augen gegen die Rechte des Königtums verschleiert hatte und für alles welt¬
liche Unlust hegte, daß sie die Zielpunkte der Selbstsucht der Großen nicht
sah, ja statt sie niederzuhalten, durch die mit vollem Recht von ihnen begehrte
Teilnahme an den Regierungsgeschäften, sie bis zur schreiendsten Untreue sich
steigern ließ H, kann man nicht anders als tief beklagen, aber man muß auch
die Pflichterfüllung, welche sie ihrem Naturell abgewann, anerkennen.
3. Daß in den auswärtigen Beziehungen, in den Händeln Italiens, in
den Verhältnissen des Papsttums kräftiges Einschreiten vermißt ward, davon
tragen die innern Verwirrungen einen großen Teil der Schuld. Dem König
Andreas von Ungern war spät ein Sohn Salomon geboren worden. Die
gehoffte Erbschaft der Krone entgieng dadurch seinem Bruder Bela und aus
Furcht vor diesem schloß er 1058 mit Deutschland Frieden und verlobte
Salomon mit der Kaiserin Tochter Sophia. Allein Bela erhielt von
seinem Neffen, Boleslaw II dem Kühnen von Polen und bei der
nationalen Partei Ungerns solche Unterstützung, daß Andreas die Seinen
nach Molk flüchtete. Zwar erschien ein von dem Bischof Eppo von Naumburg
und den Markgrafen Wilhelm von Meißen und Liutpold von Österreich
geführtes Heer zu seiner Hülfe, allein es mnstc mit ihm den Rückzug antreten.
Noch ehe er die Grenzen erreicht, siel er in einer Schlacht und die selbst vom
Feinde bewunderte Heldenmütigkeit rettete das deutsche Heer nicht vor schreck¬
licher Niederlage. Ein Glück war, daß Bela zum Angriff überzugehn sich
verhindert fand3). — Die traurige Niederlage bei Prizlawa (§ 107, 2 a. E.)
ward lange nicht vollständig dadurch gerächt, daß ein sächsisches Heer von den
1) Floto I 336. Giesebr. II 531. — 2) Die Unwahrheit der Beschuldigung
vcrbuhlten Wesens wird dadurch erwiesen, daß der strengste Erkunder des Seclen-
geheimnisses, Petrus Damiani, als sie ihm in Rom beichtete, ihr auch nicht einen
Tag Bußübungen aufzuerlegen Veranlassung fand (Floto I 255. Giesebr. III 52).
Heinrich' von Augsburg war ihr durch das Vertrauen, dessen er bei ihrem ©attcn
genoßen hatte, empfohlen. Sie übertrug ihm die Verwaltung in Baiern und die
ielbsnchtlose Nachgiebigkeit, welche er 1059 im Streit mit dortigen Großen, nament¬
lich Rapoto, bewies, verstärkte ihr Vertrauen. Floto I 193. Giesebr. III 56 f. —
3) Floto I 200. — 4) Giesebr. III 53. — 5) Floto I 190. Giesebr. III 61-63.