Ursachen und Folgen des Verfalls 41
Es steckt eine tiefe Wahrheit in dem frivolen Spott des Demades: „Die
Heldenjnngfrau von Marathon war zu einem alten Mütterchen geworden,
welches fein Gerstenfüppchen schlürfte und in Pantoffeln herumlief".
Die Athener der demosthenifcheu Zeit waren reif für die Fremd¬
herrschaft; und wie in Athen, so war es — trotz des letzten Sichaufraffens
bei Chäronea — in ganz Griechenland: die Griechen vermochten nicht
mehr, frei und selbständig zu sein, weil sie in ihrer inneren Zer¬
rüttung es zu verdienen aufgehört hatten.
2. Die Folgen des Verfalls.
a) Der eherne Schritt ber Weltgeschichte brachte das verdiente
Gericht. Aus bem Schlachtfelb von Chäronea verblutete Griechenlands
Freiheit, ward Griechenlands politische Zukunft begraben. Die nun fol¬
gende makedonische Herrschaft konnte nur entsittlichend, auslösend wirken.
Alles, was in Griechenland je und je Großes getan, Hochherziges voll¬
bracht war, wurzelte im staatlichen Bewußtsein, in der Treue gegen Stadt
und Vaterland, in der Liebe zur Heimat und Freiheit. Die Freiheit war
ihnen genommen, das Vaterland eine Provinz ber Fremben geworben; wo
sollte ber Grieche, bas griechische Gemeinwesen noch einen sittlichen Halt
finden? Der fromme Glaube an die Gottheit war längst geschwunden;
bie Philosophie konnte nur einzelnen, tiefer veranlagten Geistern, wie
Aristoteles, eine höhere Lebens- unb Geschichtsauffassung geben, bie Kunst
vielleicht einen tröftenben Schleier ziehen über ben politischen Ver¬
sall: der griechische Staat war unb blieb tot, unb ber beutsche Sänger
ans bem Schlachtfelbe von Chäronea (Geibel) hat hierin unb auch in anberm
Sinn noch heute recht, wenn er singt:
„Ach, krank im Kern des Lebens
Von eifersücht'ger Glut,
Verströmtest du vergebens
Dein letztes Heldenblut.
Weil du gelöst mit Pochen
Des Pfeilbunds stark Geflecht,
Sank, Schaft für Schaft zerbrochen,
Dahin dein ganz Geschlecht.
Mit eh'rnem Schluß die Zügel
Ergriff Barbarenhand —:
O schau in diesen Spiegel,
Schau her, mein Vaterland!" —
b) Den Plan bes Siegers von Chäronea, bas Perferreich anzugreifen,
nahm fein größerer Sohn aus; aber er gewann unter feinen Händen ein
anderes Aussehen: ein einheitliches Weltreich mit einer einheitlichen Kultur
wollte Alexander d. Gr. schaffen. Ein früher Tod riß ihn hinweg. Was