Full text: Deutsches Lesebuch für die Bedürfnisse katholischer Volksschulen

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35. Die Königin Luise wãhrend des unglücklichen Krieges. 
nichtung ihres Hoffens. Es ist, als sei die Lawine, die bisher drohend 
über ihrem Wege hing, nun plötzlich erdrückend auf sie herabgerollt. Tief 
bestürzt fährt sie weiter über Potsdam nach Berlin. Als sie am späten 
Abend dort ankommt, sind ihre Kinder schon fort nach Schwedt an der Oder. 
Es hieß, die Franzosen ständen schon vor den Thoren, und auf dieses 
Gerücht hin bestimmte der Gouverneur“) der Hauptstadt die Lehrer 
der königlichen Kinder, sie fürs erste nach Schwedt zu geleiten und dort 
der weitern Bestimmung der Eltern zu harren. In Schwedt traf die 
Königin mit ihren Kindern zusammen, erst in Küstrin wieder mit dem 
König. Welch ein Wiedersehen! Auf dem Wege nach Königsberg in 
Preußen eine Unglücksbotschaft nach der andern! 
So vielen Leiden erlag die Gesundheit der Königin. Sie erkrankte 
in Königsberg schwer am Nervenfieber. Der Leibarzi Dr. Hufeland 
berichtet darüber: „Endlich ergriff der böse Typhus auch unsere herrliche 
Königin, an der alle Herzen und auch unser Trost hing. Sie lag sehr 
gefährlich darnieder, und nie werde ich die Nacht des 22. Dezember 1806 
vergessen, wo sie in Todesgefahr lag, ich bei ihr wachte und zugleich ein 
so fürchterlicher Sturm wütete, daß er einen Giebel des alten Schlosses 
in dem sie lag, herabriß, während das Schiff, welches den ganzen noch 
übrigen Schatz und alle Kostbarkeiten enthielt, auf der See war. Indes 
auch hier ließ Gottes Segen die Kur gelingen; sie fing an, sich zu bessern. 
Aber plötzlich kam die Nachricht, daß die Franzosen heranrückten. Sie 
erklärte bestimmt: „Ich will lieber in die Hände Gottes, als dieser 
Menschen fallen.“ Und so wurde sie den 3. Januar 1807 bei der heftigsten 
Kälte, bei dem fürchterlichsten Sturm und Schneegestöber in den Wagen 
getragen und zwanzig Meilen weit über die kurische Nehrung nach Memel 
geschafft. Wir brachten drei Tage und drei Nächte, die Tage teils in 
den Sturmwellen des Meeres, teils im Eise sahrend, die Nächte in den 
elendesten Nachtquartieren zu. Die erste Nacht lag die Königin in einer 
Stube, wo die Fenster zerbrochen waren und der Schnee ihr auf das 
Bett geweht wurde, ohne erquickende Nahrung. So hat noch keine Königin 
die Not empfunden! — Ich dabei in der beständigen ängstlichen Besorgnis, 
daß sie ein Schlagfluß treffen möchte. Und dennoch erhielt sie ihren 
Mut, ihr himmlisches Vertrauen auf Gott aufrecht, und er belebte uns 
alle. Selbst die freie Luft wirkte wohlthätig; statt sich zu verschlimmern, 
besserte sie sich auf der bösen Reise. Wir erblickten endlich Memel am 
jenseitigen Ufer; zum ersten Mal brach die Sonne durch und beleuchtete 
mild und schön die Stadt, die unser Ruhe- und Wendepunkt werden 
sollte. Wir nahmen es als ein gutes Omen an.“ 
Dort in Memel, der nördlichsten Stadt Preußens, wo sie langsam 
genesen ist, schrieb sie jene hochherzigen Briefe, von denen man gesagt 
hat, ssie seien wie mit einer Feder aus dem Flügel des guten Engels 
Preußens geschrieben“. Adami. 
——— 
*) spr. Guwernör.
	        
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