im tiefsten Herzen von einer solchen Begegnung gehegte Erwartung ist
herb enttäuscht. — Als Schiller aus dem Bann der Karlsschule zur
Freiheit durch künstlerische Tätigkeit emporstrebte, da waren bereits
Goethes Schriften leuchtende und leitende Sterne seines Horizonts. Es
ist bekannt, wie er sodann sein Leben durchaus als Schriftsteller sich zu
gestalten beschließt, mit welcher Kühnheit er auf diesem Weg vor¬
schreibt; Bauerbach, Mannheim, Dresden sind die Merkzeichen dieser
selbständig betretenen Laufbahn. Sein künstlerisches Tun hat sich ge¬
steigert und geläutert. In Dresden vollendete Schiller den Don Carlos.
Von hier aus durste er bereits auf feine so schnell berühmt gewordenen
Erstlingswerke als auf eine Vergangenheit zurückblicken. Er durfte sich,
ohne sich zu vermessen, neben die Gereiften, Besten stellen. So faßt er
den Plan, die Großen von Weimar kennen zu lernen.
Weimar sieht er zunächst ohne Goethe. Wieland nimmt ihn be¬
geistert, Herder wohlwollend auf. Neben diesen findet er vor, was der
Briefwechsel mit Körner die Eoethische Sekte nennt. Diese beurteilt er
streng. Ein Geist der Kleinlichkeit scheint diese Leute zu beherrschen;
in einem Mineral, in einem Grashalm finden sie die Welt; so glauben sie,
nach Goethe, die Natur sehen zu müssen. Ihre Begriffe von Kunst
gehen auf idyllisches Behagen, auf ein Schäfertum an der Ilm hinaus.
— 1787 feiert Schiller mit Knebel und andern im Garten Goethes den
Geburtstag des Abwesenden; er selbst bringt den Trinkspruch auf den
Gefeierten aus. Mit seinem Herzen ist er jedoch nicht in dem Kreis
der Schmausenden. Größe, Hervorragung im Geistigen, wie er in den¬
selben Tagen an Körner schrieb, ist es, woran er mit besonnenstem
Bewußtsein sein Leben sehen will. Nur Einen gibt es, den er sich über¬
legen weiß: Goethe. Aber auch diesem Einen wird er zu geben haben.
Der große Wundermann, das Genie pur oxosllsneo, hat in Weimar
nicht die seiner würdigen Aufgaben gefunden. Höhere Tendenzen diesem
Einzigen nahezubringen, womöglich mitzuteilen: es wird nicht ausge¬
sprochen, daß dies Schillers Absicht war; dazu ist der Gedanke zu zart,
unberührbar geheim; aber dergleichen hegte er in sich — bis er Goethe
sah. Dann hatte er es mit einem Schlag aufgegeben, ohne sich nun ferner
weder die Erwartung noch die Enttäuschung ausdrücklich einzugestehen.
Andrerseits war nun die Zurückhaltung Goethes gegen Schiller
weit entschiedner und bewußter, als dieser und die Freunde ahnten. Für
Goethe war es schon sehr viel, daß er sich diesen Abend in gesprächiger
Laune zu erhalten vermochte. Im tiefsten Innern hegte er wirklichen
Neuland. VII—IX in 1 Bande. 17