Full text: (Prosa) (Teil 7 - 9 in 1 Bande, [Schülerband])

im tiefsten Herzen von einer solchen Begegnung gehegte Erwartung ist 
herb enttäuscht. — Als Schiller aus dem Bann der Karlsschule zur 
Freiheit durch künstlerische Tätigkeit emporstrebte, da waren bereits 
Goethes Schriften leuchtende und leitende Sterne seines Horizonts. Es 
ist bekannt, wie er sodann sein Leben durchaus als Schriftsteller sich zu 
gestalten beschließt, mit welcher Kühnheit er auf diesem Weg vor¬ 
schreibt; Bauerbach, Mannheim, Dresden sind die Merkzeichen dieser 
selbständig betretenen Laufbahn. Sein künstlerisches Tun hat sich ge¬ 
steigert und geläutert. In Dresden vollendete Schiller den Don Carlos. 
Von hier aus durste er bereits auf feine so schnell berühmt gewordenen 
Erstlingswerke als auf eine Vergangenheit zurückblicken. Er durfte sich, 
ohne sich zu vermessen, neben die Gereiften, Besten stellen. So faßt er 
den Plan, die Großen von Weimar kennen zu lernen. 
Weimar sieht er zunächst ohne Goethe. Wieland nimmt ihn be¬ 
geistert, Herder wohlwollend auf. Neben diesen findet er vor, was der 
Briefwechsel mit Körner die Eoethische Sekte nennt. Diese beurteilt er 
streng. Ein Geist der Kleinlichkeit scheint diese Leute zu beherrschen; 
in einem Mineral, in einem Grashalm finden sie die Welt; so glauben sie, 
nach Goethe, die Natur sehen zu müssen. Ihre Begriffe von Kunst 
gehen auf idyllisches Behagen, auf ein Schäfertum an der Ilm hinaus. 
— 1787 feiert Schiller mit Knebel und andern im Garten Goethes den 
Geburtstag des Abwesenden; er selbst bringt den Trinkspruch auf den 
Gefeierten aus. Mit seinem Herzen ist er jedoch nicht in dem Kreis 
der Schmausenden. Größe, Hervorragung im Geistigen, wie er in den¬ 
selben Tagen an Körner schrieb, ist es, woran er mit besonnenstem 
Bewußtsein sein Leben sehen will. Nur Einen gibt es, den er sich über¬ 
legen weiß: Goethe. Aber auch diesem Einen wird er zu geben haben. 
Der große Wundermann, das Genie pur oxosllsneo, hat in Weimar 
nicht die seiner würdigen Aufgaben gefunden. Höhere Tendenzen diesem 
Einzigen nahezubringen, womöglich mitzuteilen: es wird nicht ausge¬ 
sprochen, daß dies Schillers Absicht war; dazu ist der Gedanke zu zart, 
unberührbar geheim; aber dergleichen hegte er in sich — bis er Goethe 
sah. Dann hatte er es mit einem Schlag aufgegeben, ohne sich nun ferner 
weder die Erwartung noch die Enttäuschung ausdrücklich einzugestehen. 
Andrerseits war nun die Zurückhaltung Goethes gegen Schiller 
weit entschiedner und bewußter, als dieser und die Freunde ahnten. Für 
Goethe war es schon sehr viel, daß er sich diesen Abend in gesprächiger 
Laune zu erhalten vermochte. Im tiefsten Innern hegte er wirklichen 
Neuland. VII—IX in 1 Bande. 17
	        
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