Full text: [Abteilung 5 = Für Ober-Tertia, [Schülerband]] (Abteilung 5 = Für Ober-Tertia, [Schülerband])

Im Luftschiff. Goethes Leben. 
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VI. Biographien und Briefe. 
45. Goethes Leben. 
Von Alfred Biese. 
Zu Frankfurt am Main wurde Johann Wolfgang Goethe 
am 28. August 1749 geboren. Sein Vater, der von wohlhabenden 
Handwerkern abstammte, hatte die Rechtswissenschaft studiert und be¬ 
kleidete die Würde eines kaiserlichen Rates, verzichtete aber darauf, ein 
Amt auszuüben. Er war ein kühler, ernster, pedantischer und förm¬ 
licher Mann, karg mit Worten, befehlshaberisch und launisch, aber ehr¬ 
lich, wahrheitsliebend und gründlich und von einem nicht gewöhnlichen 
Wissensdurste, den er in jungen Jahren durch Reisen genährt und ver¬ 
tieft hatte. Obgleich er bei allen Freunden, bei Frau und Kindern, 
in der Familie und in der Stadt alles Ansehens und hoher Verehrung 
genoß, erwarb er doch niemandes Liebe, und Zärtlichkeit war ihm fast 
zuwider. Seine Frau, Elisabeth, war ungefähr in allem sein Gegen¬ 
spiel. Sie stammte aus der alten Frankfurter Patrizierfamilie der 
Textor und hatte schon von ihren Eltern her ein leichteres, lebens¬ 
lustigeres Blut als ihr ernster, ehrgeiziger Gemahl. Lind da sie sehr 
jung geheiratet hatte, wurde sie ihren Kindern, Wolfgang und Cornelia, 
— einige andere starben früh —, bald mehr eine vertraute ältere Ge¬ 
spielin und Freundin als eine Mutter. Die beständige Güte ihres 
sonnigen Wesens erwärmte und erhellte die Zugend der Kinder, die 
der alternde Äerr Rat oft genug getrübt und durchkältet hätte. Dabei 
verfügte sie, wie ihr Mann, über eine weite Bildung, und wenn jener 
von seinem Sohne die Pflege ernster und nützlicher Wissenschaften, ins¬ 
besondere der alten und modernen Sprachen, verlangte, vermittelte sie 
ihm die Kenntnis der besten deutschen und italienischen schöngeistigen 
Schriften. 
Es gab damals wohl kaum eine Stadt in Deutschland, die einem 
wissensdurstigen, jungen Menschen, der tief in die mannigfaltigen Ver¬ 
hältnisse des Lebens hineinsehen sollte und wollte, eine solche Fülle von 
Bildern und bunten Eindrücken hätte vermitteln können, wie Frank¬ 
furt dem Heranwachsenden Goethe vermittelt hat. Die alte, freie 
Reichsstadt bewahrte noch eine Menge Denkmäler mittelalterlicher 
Zeit. Türme und Dome und Klöster neben Zudenviertel und Befesti¬ 
gungen grüßten noch aus der Resormationszeit und weiter her. Im 
Römer krönte man noch die römischen Kaiser deutscher Nation, und das 
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