Full text: [Abteilung 6 = Für Unter-Sekunda, [Schülerband]] (Abteilung 6 = Für Unter-Sekunda, [Schülerband])

Die Poesie der Lolsteinischen Leide. 
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braust die Nordsee an das von Dämmen umgürtete Land, das in 
seinem Marschboden unerschöpflichen Reichtum birgt, aber auch in 
seiner grünen Weite mit den blinkenden Gräben und den weidenden 
Ochsen, mit den von Bäumen und Lecken umfriedeten Lösen des 
ästhetischen Reizes nicht entbehrt. 
Den mittleren Landrücken nimmt die Geest ein. Der Boden ist 
leicht oder sandig; das Korn gedeiht hier nicht in seiner üppigsten 
Fülle; weite Strecken sind von Kiefern bewachsen, andere sind Moor- 
und Weideland. 
Wer vom Waldgebirge herabsteigt in die gestaltlose, öde Ebene, 
z. B. der Lüneburger Leide, den beschleicht ein schwermutvolles Gefühl; 
da grüßt ihn kein Baum und keine Blume; Limmel und Leide dehnen 
sich vor ihm, unermeßlich; der unfruchtbare Meeresboden scheint an die 
Erdoberfläche emporgetaucht zu sein; die gütige Allmutter Natur scheint 
statt des Lebens, das sonst ihr allenthalben entquillt, die Erstorbenheit, 
den Tod ausgebreitet zu haben. 
Auch die schleswigcholsteinische Geest ist eine Ausläuferin der 
großen nordischen Tiefebene, aber sie trägt selten den so toten Charakter 
der Lüneburger Leide. Tannen und Birken und kurzes Eichengestrüpp 
beleben den einförmigen Teppich des Leidekrautes, und hier und da 
erhebt sich sogar ein Buchenhain als Kulisse. 
Es liegt ein wunderbarer Zauber über der Leide. Wie am Meer, 
ergreift uns das Gefühl der Abgeschiedenheit und der Einsamkeit und 
der Unendlichkeit des Raumes; mit seiner Einförmigkeit wirkt das weite, 
waldlose Land wie das weite, blaue Meer, wie der weite, blaue Limmel. 
Es schleicht sich wie Ahnung des Ewigen ins Lerz. 
Wir stehen vor der unberührten Natur. Lierher drang der 
Mensch noch nicht mit seiner Oual. Dem Spaten widersetzt sich die 
zähe Erikadecke; hier ist noch unverfälschtes, kulturloses Leben und 
Weben der Schöpfung. And trotz der scheinbaren Einförmigkeit 
welch buntes Bild bietet diese dar, wenn man nur näher eindringt 
in das innere Walten der Natur, in das geheime Dasein, das sich 
auch hier in der Stille entfaltet. Wie ein härenes Gewand schmiegt 
sich an den Erdboden die kurze, struppige Sandheide, und darüber 
liegt es wie ein Lauch von Abendrot, den die zartroten Blüten hervor¬ 
rufen. 
Es ist ein gar eigenartiges Pflänzchen, die Erika. Wer ahnt es, 
daß sie unter afrikanischer Sonne baumhohe Arten zeitigt, wenn er 
diese Milliarden von niedrigen Zwergkräutern ganze Landschaften mit 
ihrem braunen Teppich überspinnen steht? Aber wie zart und moos- 
Lesebuch für höhere Lehranstalten. Unter-Sekunda. 8
	        
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