Die Poesie der Lolsteinischen Leide.
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in ihren goldnen Panzerröckchen,
die Bienen hängen Zweig um Zweig
sich an der Edelheide Glöckchen;
die Vögel schwirren aus dem Kraut —
die Luft ist voller Lerchenlaut.
Es ist eine idyllische, friedliche Stille, die uns magisch umfängt;
wir spüren es — wie Storm singt — „kein Klang der aufgeregten
Zeit drang noch in diese Einsamkeit". In atemlosem Schweigen scheint
die Zeit eingeschlummert zu sein in dieser Mittagseinsamkeit.
Lind schreitest du bei sinkender Sonne über die Leide dahin, so
wirst du gefesselt von dem leuchtenden Farbenspiel. Gebannt stehst
du da; immer röter brennt der Abend; immer tiefer wird über dir
das Blau; nun fächert im West nur noch eine dunkle Flamme und
wirst einen langen, glühenden Blick zu dir her, und nun ist auch diese
verloschen, aber die Brandstreifen schlagen purpurn zum Limmel auf.
Aber wehe dir, wenn du den Pfad nicht kennst und plötzlich
spürst, wie der Boden immer weicher wird, wie du von der Leide
her dem Moor dich näherst und somit der Gefahr, in unergründliche
Tiefe zu sinken. Lind wie gespenstisch hebt sich am Abendhimmel dort
in der Ferne die Weide oder die Birke von der weiten Öde ab, wie
ragt dort riesengroß das Lünengrab empor oder dort weit, weit eine
Leidekate, oder es wirbelt ein fernes Feuer zum Nachthimmel auf,
und die dunklen Gestalten der herumlagernden Zigeuner gleichen großen,
schwarzen Schatten. Aber immer dämonischer wird es um dich her.
Der fahle Mond bricht aus den trüben Wolkenschleiern hervor, und
die Nebel beginnen um dich zu brauen. Alles wird schemenhaft, Luft
und Erde zerfließen in eins, und es ist dir, als steige die Flut heran,
als wolle dich das Nebelmeer verschlingen.
So birgt die Leide auch eine grausige Romantik in sich. Wer
kennt nicht Lebbels „Leideknaben" und die Schumannsche Komposition,
wer nicht die Dichtungen Annettes von Droste, Lenaus, Stifters,
Storms, Klaus Groths, Zensens, Liliencrons, in denen webt und lebt
das Schauervolle, das über Leide und Moor sich breitet?
Aber ich will nur einen, und zwar einen noch wenig gekannten
Dichter nennen und statt vieler Bekenntnisse nur das seine anführen.
Er heißt Timm Kröger, und seine Werkchen sind: „Eine stille Welt",
„Der Schulmeister von Landewitt" und „Die Wohnung des Glücks";
er kennt wie wenige die Poesie der Leide, er enträtselt sie, gibt ihr
Laute voll wunderbarer Schönheit, voll Innigkeit des Leimats- und
des Naturgefühls; bei ihm gewinnt alles, auch das Schlichteste, eine
8*