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B. Beschreibende Prosa. VI. Naturbilder.
33. Älumen und Insekten.
Von Wilhelm Julius Behrens. Methodisches Lehrbuch der allgemeinen
Botanik. 1882.
Die Zahl der Pflanzen, deren Blütenstaub durch den Wind auf
die Narbe übertragen wird, ist nicht sehr groß, wenn man sie mit der
Anzahl derjenigen Pflanzen vergleicht, bei denen die Kreuzung durch
Tiere vermittelt wird. Es sind vor allen die Jllsekten, welche die Über¬
tragung des Blütenstaubes auf die Narbe einer andern Blüte besorgen.
Unter allen Pflanzen ist die Osterluzei diejenige, welche wohl die
vollkommenste Blüteneinrichtung für die Jnsektenbestäubung aufweist.
Die gelben Blüten sind in großer Anzahl wirtelförmig um den Stengel
angeordnet und fallen schon von weitem durch ihre Färbung auf.
Außerdem werden die bestäubenden Insekten durch einen eigentümlichen,
uns ekligen Duft zu den Blüten gelockt. An der langen, röhren¬
förmigen Blüte lassen sich drei Teile unterscheiden: der weite, trichter¬
förmige Schlund, ein schmaler und langer, rühriger Hals und eine
untere, kesselartige Erweiterung, welche dem Fruchtknoten aufsitzt und
im Innern Narbe und Staubgefäße enthält. Beide zuletzt genannten
Teile bilden einen fleischigen, sechsseitigen Körper, der auf seiner oberen
Platte die Narbe trügt und an dessen Seitenwand die sechs Staubbeutel
unmittelbar angewachsen sind. Die Röhre der Blüte ist an der Innen¬
wand ganz von dicken, steifen, aber an ihrer Anwachsungsstelle leicht be¬
weglichen Haaren bedeckt, deren Spitzen alle nach unten gerichtet sind.
Die Bestäubung dieser Pflanzen geschieht durch sehr kleine, mücken¬
artige Fliegen. Sie fliegen in die weite Blütenöffnung hinein und
kriechen die lange Röhre hinab, was ihnen nicht schwer fällt, da die
beweglichen, nach unten gerichteten Haare nach rechts und links aus¬
weichen und ihnen daher nicht hinderlich in den Weg treten. So ge¬
langen sie schließlich in den Kessel hinein, der ihnen als geschütztes
Verdeck dient. Nach einiger Zeit versuchen sie auf demselben Wege
sich wieder aus dem Blütenkessel zu entfernen; allein dieselben Haare
in der Röhre, die früher vor ihnen auswichen, verschließen ihnen jetzt
in umgekehrter Stellung den Weg. Die Fliegen werden in dem Kessel
etwa in derselben Weise gefangen gehalten wie die Fische in einer
Fischreuse. Nun laufen die Tierchen ungeduldig in ihrem engen,
dunkeln Gefängnisse umher und gelangen dabei alsbald auch auf die
große Narbe, wo sie den Blütenstaub, welchen sie bereits aus einer
andern Blüte mitbrachten, absetzen. Während aber die Narbe bereits
entwickelt ist und Blütenstaub aufnehmen kann, sind die Staubgefäße
noch nicht reif, sondern diese entwickeln sich erst später. Erst nachdem
der fremde Blütenstaub auf die Narbe übertragen worden ist, brechen die
Staubbeutel auf und werden von den über sie hinlaufenden Tierchen
gleichfalls entleert. Zu derselben Zeit beginnt aber auch die Röhre