Full text: [Abteilung 4 = Für Unter-Tertia, [Schülerband]] (Abteilung 4 = Für Unter-Tertia, [Schülerband])

152 
A. Epische Poesie. I. Heroisches Epos. 
10. Wie sie das rächen möchte, dachte sie alle Tage: 
„Ich bin nun wohl so mächtig, wem es auch mißbehage, 
Daß ich meinen Feinden mag schaffen Herzeleid: 
Dazu wär ich dem Hagen von Tronje gerne bereit. 
11. Nach den Getreuen jammert noch oft die Seele mein; 
Doch die mir Leides thaten, möcht' ich bei denen sein, 
So würde noch gerochen meines Friedels Tod. 
Kaum kann ich es erwarten," sprach sie in des Herzens Not. 
12. Es liebten sie alle, die dem König Unterthan, 
Die Recken Kriemhildens; das war auch wohl gethan. 
Ihr Kämmerer war Eckewart; drum ward er gern gesehn. 
Kriemhildens Willen konnte niemand widerstehn. 
13. Sie gedacht' auch alle Tage: „Ich will den König bitten," 
Er möcht' ihr vergönnen mit gütlichen Sitten, 
Daß man ihre Freunde brächt' in der Hennen Land. 
Den argen Willen niemand an der Königin verstand. 
14. Sie sprach zu dem König: „Viel lieber Herre mein, 
Ich wollt' Euch gerne bitten, möcht' es mit Hulden sein, 
Daß Ihr mich sehen ließet, ob ich verdient den Sold, 
Daß Ihr meinen Freunden wäret inniglich hold." 
15. Da sprach der mücht'ge König, arglos war sein Mut: 
„Des sollt Ihr inne werden: was man den Helden thut 
Zu Ehren und zu gute, mir geschieht ein Dienst daran, 
Da ich von Weibesminne nie beßre Freunde gewann." 
16. Noch sprach zu ihm die Königin: „Ihr wißt so gut wie ich, 
Ich habe hohe Freunde; darum betrübt es mich, 
Daß mich die so selten besuchen hier im Land: 
Ich bin allen Leuten hier um als freundlos bekannt." 
17. Da sprach der König Etzel: „Viel liebe Fraue mein, 
Deucht' es sie nicht zu ferne, so lüd' ich Überrhein, 
Die Ihr da gerne sähet, hierher zu meinem Land." 
Sie freute sich der Rede, als ihr sein Wille ward bekannt. 
18. Sie sprach: „Wollt Ihr mir Treue leisten, Herre mein, 
So sollt Ihr Boten senden gen Worms Überrhein. 
So entbiet ich meinen Freunden meinen Sinn und Mut: 
So kommen uns zu Lande viel Ritter edel und gut."
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.