Full text: [Abteilung 4 = Für Unter-Tertia, [Schülerband]] (Abteilung 4 = Für Unter-Tertia, [Schülerband])

von Volkmann-Leander: Der Wunschring. 
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Die Weinmännlein aber trugen noch in derselben Nacht, in der 
sie Hübners Schlechtigkeit gezüchtigt hatten, den ganzen Hügel ab, so 
daß auch keine Spur mehr davon zu sehen war; aber Bartels' Wein¬ 
berg hüteten sie immerdar, und immerdar hatte er den besten Most, 
und die Leute wußten nicht, woher er ihn habe, und wenn sie jemand 
als recht klug bezeichnen wollten, dann pflegten sie zu sagen: „Der 
weiß, wo Bartels den Most holt," und das sagt man auch heute noch 
auf der ganzen Erde, nur da nicht, wo die Leute nicht Deutsch ver¬ 
stehen. 
2. Der Wunschring. 
Von Richard von Volkmann-Leander. Träumereien an französischen Kaminen. 
Leipzig, 1891. 
Ein junger Bauer, mit dem es in der Wirtschaft nicht recht vor¬ 
wärts gehen wollte, saß auf seinem Pfluge und ruhte einen Augenblick 
aus, um sich den Schweiß vom Angesichte zu wischen. Da kam eine 
alte Hexe vorbeigeschlichen und rief ihm zu: „Was plagst du dich und 
bringst's doch zu nichts? Geh' zwei Tage lang geradeaus, bis du an 
eine große Tanne kommst, die frei im Walde steht und alle andern 
Bäume überragt. Wenn du sie umschlägst, ist dein Glück gemacht." 
Der Bauer ließ sich das nicht zweimal sagen, nahm sein Beil 
und machte sich aus den Weg. Nach zwei Tagen fand er die Tanne. 
Er ging sofort daran, sie zu füllen, und in dem Augenblicke, wo sie 
umstürzte und mit Gewalt auf den Boden schlug, fiel aus ihrem 
höchsten Wipfel ein Nest mit zwei Eiern heraus. Die Eier rollten 
auf den Boden und zerbrachen, und wie sie zerbrachen, kam aus dem 
einen Ei ein junger Adler heraus, und aus dem andern siel ein kleiner 
goldner Ring. Der Adler wuchs zusehends, bis er wohl halbe Mannes¬ 
höhe hatte, schüttelte seine Flügel, als wollte er sie probieren, erhob 
sich etwas über die Erde und rief dann: 
„Du hast mich erlöst. Nimm zum Dank den Ring, der in dem 
andern Ei gewesen ist. Es ist ein Wnnschring. Wenn du ihn am 
Finger umdrehst und dabei einen Wunsch aussprichst, wird er alsbald 
tu Erfüllung gehen. Aber es ist nur ein einziger Wunsch im Ring. 
Ist der gethan, so hat der Ring alle weitere Kraft verloren und ist 
nur wie ein gewöhnlicher Ring. Darum überlege dir wohl, was du 
dir wünschst, auf daß es dich nicht nachher gereue!" 
Darauf erhob sich der Adler hoch in die Lust, schwebte lange 
noch in großen Kreisen über deut Haupte des Bauers und schoß dann 
wie ein Pfeil nach Morgen. 
Der Bauer nahm den Ring, steckte ihn an den Finger und begab 
sich auf den Heimweg. Als es Abend war, langte er in einer Stadt
	        
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