Full text: [Teil 5 = achtes (und neuntes Schuljahr)] (Teil 5 = achtes (und neuntes Schuljahr))

in einer der obern Etagen einen guten Platz angewiesen, wo wir das 
Ganze vollkommen übersehen konnten. Mit dem frühesten begaben wir 
uns an Ort und Stelle und beschauten nunmehr von oben, wie in 
der Vogelperspektive, die Anstalten, die wir tags vorher in nähern 
Augenschein genommen hatten. Da war der neu errichtete Spring— 
brunnen mit zwei großen Kufen rechts und links, in welche der 
Doppeladler auf dem Ständer weißen Wein hüben und roten Wein 
drüben aus seinen zwei Schnäbeln ausgießen sollte. Aufgeschüttet zu 
einem Haufen lag dort der Haber, hier stand die große Bretterhütte, 
in der man schon einige Tage den ganzen fetten Ochsen an einem 
ungeheuren Spieße bei Kohlenfeuer braten und schmoren sah. Alle 
Zugänge, die vom Römer aus dahin und von andern Straßen nach 
dem Römer führen, waren zu beiden Seiten durch Schranken und 
Wachen gesichert. Der große Platz füllte sich nach und nach, und 
das Wogen und Drängen ward immer stärker und bewegter, weil die 
Menge womöglich immer nach der Gegend hinstrebte, wo ein neuer 
Auftritt erschien und etwas Besonderes angekündigt wurde. 
Bei alledem herrschte eine ziemliche Stille, und als die Sturm— 
glocke geläutet wurde, schien das ganze Volk von Schauer und Er— 
staunen ergriffen. Was nun zuerst die Aufmerksamkeit aller, die von 
oben herab den Platz übersehen konnten, erregte, war der Zug, in 
welchem die Herren von Aachen und Nürnberg die Reichskleinodien 
nach dem Dome brachten. Diese hatten als Schutzheiligtümer den 
ersten Platz im Wagen eingenommen, und die Deputierten saßen 
vor ihnen in anständiger Verehrung auf dem Rücksitz. Nunmehr be— 
geben sich die drei Kurfürsten in den Dom. Nach Überreichung der 
Insignien an Kur-Mainz werden Krone und Schwert sogleich nach 
dem kaiserlichen Quartier gebracht. Die weiteren Anstalten und 
mancherlei Ceremoniell beschäftigten mittlerweile die Hauptpersonen 
sowie die Zuschauer in der Kirche, wie wir andern Unterrichteten uns 
wohl denken konnten. 
Vor unsern Augen fuhren indessen die Gesandten auf den Römer, 
aus welchem der Baldachin von Unteroffizieren in das kaiserliche 
Quartier getragen wird. Sogleich besteigt der Erbmarschall Graf von 
Pappenheim sein Pferd, ein sehr schöner, schlankgebildeter Herr, den 
die spanische Tracht, das reiche Wams, der goldne Mantel, der hohe 
Federhut und die gestrählten, fliegenden Haäre sehr wohl kleideten. 
Er setzt sich in Bewegung, und unter dem Geläute aller Glocken folgen 
ihm zu Pferde die Gesandten nach dem kaiserlichen Quartier in noch 
größerer Pracht als am Wahltage. Dort hätte man auch sein mögen, 
wie man sich an diesem Tage durchaus zu vervielfältigen wünschte. 
Wir erzählten einander indessen, was dort vorgehe. Nun zieht der 
Kaiser seinen Hausornat an, sagten wir, eine neue Bekleidung nach 
dem Muster der alten karolingischen verfertigt. Die Erbämter er— 
halten die Reichsinsignien und setzen sich damit zu Pferde. Der Kai 
im Ornat, der römische König im spanischen Habit besteigen gleichfau— 
Paldamus, Lesebuch, Ausg. B. 5. Teil. 2. Aufl. 16
	        
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