Full text: [Teil 5 = achtes (und neuntes Schuljahr)] (Teil 5 = achtes (und neuntes Schuljahr))

schweigt, auch wo es irre geleitet ist, uns zu umgeben trachtet; es ist 
die Kunst, welche unsere Wände, unsere Geräte schmückt, unsere ganze 
Behausung in künstlerische Harmonie bringt, sie mit dem Glanze der 
Schönheit, mit dem Eindruck von Wohlbehagen erfüllt, der Herz und 
Auge erfreut. 
Hier ist es nun vor allem, wo ich der Frau den Beruf zur Be— 
förderung des Schönen anweisen möchte, nicht so freilich, als ob aller 
Schmuck von ihrer Hand herrühren müßte, was ja außer dem Bereiche 
der Möglichkeit liegt. Hier braucht sie nicht selbst Künstlerin zu sein, 
nicht einmal selbst die Hand anzulegen. Da, wo ihre Hand nicht mit— 
thätig ist, tritt ihr Geschmack, ihr Urteil, ihre Wahl ein, und so 
liegt, ob sie nun schafft oder ob sie prüft und bestimmt, dies ganze 
Gebiet, die Kunst im Hause, unter ihrer Herrschaft. — 
Wie heute der Weltlauf ist, geht der Beruf des Mannes, seine 
Thätigkeit aus dem Hause hinaus ins Weite, seine Gedanken sind des 
Tages über — und sie spinnen sich fort — dem Guten und Nützlichen, 
dem Erschaffen und Erwerben zugewendet, und wenn er heimkehrt, 
arbeitsmüde und der Erholung bedürftig, so verlangt ihn nach ruhigem 
Genuß, ihn erfreut die Stätte, die er sein nennt, und die ihm die 
Frau behaglich und anmutig bereitet und mit reizenden Gegenständen 
verschönert hat. Das Leben selbst ist es ja, welches der Ausbildung 
seines Schönheitssinnes hinderlich ist. Der Frau dagegen schreiben 
wir den Geschmack als dem Geschlechte angeboren zu. Sie ist die 
Herrin des Hauses, darin sie waltet und schaltet als Herrscherin. 
Sollte es darum nicht vor allem ihr Beruf sein, der Ordnung, die 
sie schafft, die Schönheit hinzuzugesellen? 
Und sollte dieser Beruf, weil er sich zumeist auf das Kleine 
bezieht, gering und unwichtig erscheinen? Bedenken wir nur, welche 
Bedeutung die Ausbildung des menschlichen Geistes nach der Seite 
des Schönen hin in der modernen Bildung, ja allgemeinhin in der 
Kultur des Menschengeschlechts besitzt! Die Kunst, sagt man, veredelt 
die Sitten, lenkt unser Sinnen und Denken vom Niedrigen und Ge— 
meinen ab, tröstet uns über so viel Elend und Ungemach des materiellen 
Daseins und erhebt uns darüber hinaus in eine hoͤhere geistige Sphäre: 
sie bessert den Menschen in uns, sie idealisiert unser Leben. Und 
dies geschieht doch nur, indem sie den Schönheitssinn in uns weckt, 
die Lust und Freude am Schönen in uns bildet und dieser erweckten 
Lust stets neue Nahrung, neue Gegenstände des Ergötzens zuführt. 
Man würde aber irren, dem Großen in der Kunst allein solche er— 
ziehende Kraft zuzuschreiben. Wenn es überhaupt die Lust am Schönen 
ist, welche die Vermittlung bildet, so ist es die am scheinbar Kleinen 
und Unbedeutenden, das ja ohnehin allein der größeren Mehrzahl der 
Menschen zugänglich ist, ebensowohl wie die Lust an den großen 
Werken der Kunst. 
Man würde also unrecht thun, diese Seite des Schönen zu ver— 
achten oder in ihrer Bedeutung zu unterschätzen und zu vernachlässigen. 
Man würde um so mehr unrecht thun, als es ja diese Gegenstände
	        
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