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11 Doch, jüngre Waldgeschwister,
Ihr hauchet frisch belaubt
Teilnehmendes Geflüster
Um mein erstorbnes Haupt;
Euch alle sterbend weih' ich
Zu schön'rer Zukunft ein,
Und also prophezei' ich,
Wie fern die Zeit mag sein:
Einst einer von euch allen,
Wenn er so altergrau
Wird, wie ich falle, fallen,
Giebt Stoff zu anderm Bau,
Da wohnen wird und wachen
Ein Fürst auf deutscher Flur;
Dann wird mein Holz noch krachen
Im Bau der Präfektur.“
148. Friedrich Wilhelm IV.
Ergänzungen zum Seminar-Lesebuche. Berlin, 1891.
Friedrich Wilhelm IV. hatte von seinem Vater den Ernst, die
hohenzollernsche Pflichttreue und das königliche Bewußtsein, von seiner
Muͤtter den erhabenen, begeisterten Aufschwung der Seele geerbt.
Reinheit, Hoheit und der Zug nach dem Idealen bildeten den Stempel
seiner Natuͤr. Ein selten ausgedehntes Wissen, eine Bildung in Politik,
Geschichte, Philosophie, Theologie und Kunst, mit der er auf der Höhe
der Zeit stand, waren bei ihm gehoben durch Ursprünglichkeit und
Geniälität. Dabei hatte er ein Herz voll Wohlwollen und Milde
gegen die Menschen, einen tiefen Sinn für Gerechtigkeit, eine Duldung
uͤnd Wertschätzung auch für abweichende Ansichten, selbst für Wider—
streben gegen seine Lieblingspläne, wenn sie nur aus sittlichem Grunde
hervorgegangen waren. Ihnen gesellten sich ein fürstlicher Anstand,
verbunden mit Leutseligkeit und einer beschämenden Bescheidenheit, ein
treffender Humor, ein reges, allem offenes Interesse, eine tiefe Freudig—
keit an dem geistigen Genusse des Lebens. Das Innerste seiner Seele
aber war sein Glaube an Jesum Christum, den Heiland der Welt,
und der war in ihm — bei aller Fülle des Geistes und der Bildung —
ein einfacher, kindlicher, demütiger Glaube. Diesen Glauben hat er
bewahrt uͤnd bekannt als einfacher Prinz und auf dem Throne, in
guten und in den schlimmsten Tagen. Dieser Glaube erhöhte und
verklärte seine natürliche Innigkeit und Treue in dem Bunde mit
seiner königlichen Gemahlin und mit dem königlichen Hause, in dem
Bunde mit Volk und Vaterland.
Von der Höhe seines Thrones herab hat er vor seinem Volke
und vor allen Völkern der Erde bezeugt: „Ich und mein Haus, wir
wollen dem Herrn dienen.“ Er hat eine Kaiserkrone ausgeschlagen,
weil Recht und Gerechtigkeit ihm höher standen als Glanz und Hoheit.
Er hat das Recht seiner deutschen Mitfürsten geschützt, und der Un—
dank, die Verkennung, die er darüber erfuhr, haben ihm weh gethan,
ihn aber nicht erbittert. Nicht leicht ist ein Fürst durch so viel herz—
zerreißende Erfahrungen, durch so viel niederbeugende Schickungen ge—
gangen, aber unter ällen persoönlichen Schmerzen, unter allen bitteren
Kränkungen, die gerade seinem Herzen voll Liebe am wehesten thun
mußten, ließ er keinen Haß, keinen Argwohn, kein Mißtrauen in sich