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aufkommen, keine Entfremdung, in der er sich von seinem Volke zurück—
gezogen hätte. Sein Volk, das von Gott ihm anvertraute Volk, blieb
seine Sorge, der Gegenstand seiner Gedanken und Gebete. Die Wunden,
die seinem Herzen geschlagen waren, hatte er bald vergeben, und wenn
er ihrer gedachte, geschah es ohne Bitterkeit. Sein Nachfolger, König
Wilhelm J., sagte von ihm in einem bei seiner Thronbesteigung ver—
öffentlichten Erlasse:
„Niemals hat eines Königs Herz treuer für seines Volkes Wohl
geschlagen. Der Geist, in welchem Unseres Hochseligen Vaters Majestät
nach den Jahren des Unheils sein Volk wieder aufrichtete und zu den
Kämpfen stählte, an welchen Mein verklärter Bruder hochherzig teil—
nahm, war König Friedrich Wilhelm IV. ein heiliges Erbteil, welches
er treu zu pflegen wußte. UÜberall gewährte er edlen Kräften An—
regung und förderte deren Entfaltung. Mit freier königlicher Huld
gab er dem Lande Institutionen, in deren Ausbau sich die Hoffnungen
desselben erfüllen sollten. Mit treuem Eifer war er bemüht, dem ge—
samten deutschen Vaterlande höhere Ehre und festere Einigung zu ge—
winnen. Als eine unheilvolle Bewegung der Geister alle Grundlagen
des Rechts erschüttert hatte, wußte Meines in Gott ruhenden Bruders
Majestät die Verwirrung zu enden, durch eine neue politische Schöpfung
die unterbrochene Entwickelung herzustellen und ihrem Fortgange feste
Bahnen anzuweisen.“
149. RBönig Wilhelms J. Thronrede zur Eröffnung des
ersten Reichstages des norddeutschen Bundes.
24. Februar 1867.
„Erlauchte, edle und geehrte Herren vom Reichstage
des norddeutschen Bundes!
Es ist ein erhebender Augenblick, in welchem Ich in Ihre Mitte
trete; mächtige Ereignisse haben ihn herbeigeführt, große Hoffnungen
knüpfen sich an denselben. Daß es Mir vergönnt ist, in Gemeinschaft
mit einer Versammlung, wie sie seit Jahrhunderten keinen deutschen
Fürsten umgeben hat, diesen Hoffnungen Ausdruck zu geben, dafür
danke Ich der göttlichen Vorsehung, welche Deutschland dem von seinem
Volke ersehnten Ziele auf Wegen zuführt, die wir nicht wählen oder
voraussehen. Im Vertrauen auf diese Führung werden wir jenes Ziel
um so früher erreichen, je klarer wir die Ursachen, welche uns und
unsere Vorfahren von demselben entfernt haben, im Rückblick auf die
Geschichte Deutschlands erkennen.
Einst mächtig, groß und geehrt, weil einig und von starken
Händen geleitet, sank das deutsche Reich nicht ohne Mitschuld von
Haupt und Gliedern in Zerrissenheit und Ohnmacht. Des Gewichtes
im Rate Europas, des Einflusses auf die eigenen Geschicke berauͤbt,
ward Deutschland zur Wahlstatt der Kämpfe fremder Mächte, für