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dem er berufen worden ist, stumm und stumpf und ohne in dem
Wunder das Wunder zu ahnen, wie vor dem Alltäglichen, so auch
dor dem Gral stehen bleibt oder vorübergeht, der wird ausgeschlossen
don der Gemeinschaft der Hüter und Pfleger des Grals, wie der,
der nicht nach dem christlichen Heile fragt, desselben auch nicht teil—
haftig wird.
Eine lange Reihe von Jahren und Jahrhunderten hat dieser
Graltempel in seiner Herrlichkeit im Occident gestanden und ist von
einer Reihe von Geschlechtern gepflegt worden; da hörte bei der
zunehmenden Gottlosigkeit des occidentalischen Christenvolkes die Wür—
digkeit desselben auf, den Gral in seiner Mitte zu beherbergen; von
Engeln wurde er mitsamt dem Tempel hinweggehoben und tief hinein
gerückt in den Orient, in das Land der mittelãlterlichen Märchen und
Wunder, in das Land des Priesters Johannes. So blieb die Dichtung
in sich zusammenhängend und unangreifbar.
BDie Sage vom Gral mag in ihrer christlichen Umformung in
Spanien ihr Mutterland haben, Frankreich und Deutschland sind die
Stätten ihrer Pflege und ihres dichterischen Wachstums.
18. Parzival. (Nach Wolfram von Eschenbach.)
A. F. C. Vilmar. Geschichte der deutschen National-Litteratur. 9. Aufl.
Marburg, 1862.
— Parzival, der Sohn Gamurets, aus dem königlichen Geschlecht
von Anjou, und der aus dem Königsstamme der Gralshüter ent—
sprossenen Herzeloide wird nach des Vaters frühem Tode von der
besorgten Mutter in der Einöde Soltane am Brezilianwalde erzogen,
einem künftigen Einsiedler gleich, fern von aller Beruͤhrung mit der
Welt; denn die Mutter fürchtet, der Sohn möge gleich dem lief—
betrauerten Vater von Thatenlust gedrängt ruhelos von Kampf zu
Kampf und in einen frühen Tod stürmen. In kindischem Spiel
schnitzte sich der Knabe Bogen und Pfeile und erlegt die singenden
Waldvögel; aber bald, wenn er einen der armen Sänger Zetötet
hatte, brechen bittere Thränen aus seinen Augen, daß der liebliche
Sang durch seine Hand verstummt war. Seitdem lauscht er, stumm
und regungslos unter den Bäumen liegend, dem Gesange der Vögel,
und es ward ihm wohl und weh in der kindlichen Seele, und *
junges Herz schwoll hoch auf, so daß er weinend zur Mutter eilte,
ihr sein Leid — welches? wie wußte er das? — zu klagen. Die
Mutter will die Vögel, die ihr Kind zu so tiefem Leide aufregen, töten
lassen; aber der Sohn erbittet für sie Frieden, — und die Mutter
küßt den Sohn: „Wie sollte ich des höchsten Gottes Friedegebot
brechen? Sollen die Vögel durch mich ihre Freude verlierenn 5
was ist Gott?“ fragt der Knabe. Und die treue Mutter antwortet
„Er ist lichter als der klare Tag einst aber hat er Antliß ange;
nommen gleich Menschenantlitz. Ju ihm sollst du dereinst flehen in
deiner Not, denn er ist getreun Wer es giebt auch einen Ungetreuen,