II.
Prosa.
A. Erzählungen.
84. Die vergessene Hortensie.
Ich hatte einige Tage in einer kleinen Stadt zu tun. Alle
kleinen Städte, ohne Ausnahme, sind langweilig. Und dann
kommen unsere unangenehmen menschlichen Eigenschaften, ich sage
unsere unangenehmen, mehr zum Vorschein als in großen Städten:
die Klatschsucht, der Neid, die Scheelsucht zum Beispiel. Nicht einen
Schluck Kaffee können wir trinken, ohne daß es sofort das ganze
Örtchen weiß. Freilich auch ihre guten Eigenschaften haben kleine
Städte: frische Luft und einsame Spaziergänge.
Und wie bestechlich sind sie, wenn wir auf kurzen Besuch oder
zur Erholung dort weilen; wie idyllisch kommt uns dann dies
Leben vor, wie harmlos, wie patriarchalisch, ja wie paradiesisch!
Und es steckt doch hinter all dieser scheinbaren Harmlosigkeit nicht
nur der oft grell zutage tretende Egoismus, sondern auch eine
fürchterliche Teilnahmlosigkeit: das ganze große Leben in großen
Verhältnissen geht spurlos vorbei an und in jedem kleinen Neste.
Das Städtchen, wo ich mich einige Tage aufhalten mußte, lag
entzückend. Ein raschfließendes Flüßchen mit vielen bunten Wimpeln
im Süden, ein bewaldeter Höhenzug, gleichsam wie ein RaupSE
busch von ferne anzusehen, im Norden, Heiden im Westen und
Osten schlossen es ein.
Ein herrlicher Sommertag ging zu Ende. Ich saß vor der
Tür des einzigen Wirtshauses und trank mein Bier. Um die Linden
der Kirche gaukelten, wie tanzende Schneeflocken, Hunderte von
Kohlweißlingen. Der Wochenwagen kam und hielt. Die Pferde
bekamen ihren Hafer vorgeschüttet und tranken dann in jenen
langen, behaglichen Zügen. Das Wasser, wenn sie die Köpfe aus