257
Hochmächtige Gestalten,
Geschlossen Auges, stumm,
Grabbildern gleich zu halten
Aus grauem Altertum.
24. Und mitten ward erblicket
Ein Lager reich von Gold:
Da ruhte, wohlgeschmücket,
Eine Jungfrau wunderhold.
Die Süße war umfangen
Mit frischen Rosen dicht,
Und auch von Mund und Wangen
Schien zartes Rosenlicht.
25. Der Königssohn, zu wissen,
Ob Leben in dem Bild,
Thät seine Lippen schließen
An ihren Mund so mild.
Er hat es bald empfunden
Am Odem, süß und warm,
Und als sie ihn umwunden,
Noch schlummernd, mit dem Arm.
26. Sie streifte die goldnen Locken
Aus ihrem Angesicht;
Sie hob, so süß erschrocken,
Ihr blaues Augenlicht.
Und in den Nischen allen
Erwachen Ritter und Frau;
Die alten Lieder Hallen
Im weiten Fürstenbau.
27. Ein Morgen, rot und golden,
Hat uns den Mai gebracht!
Da trat mit seiner Holden
Der Prinz aus Waldesnacht;
Es schreiten die alten Meister
In hehrem, stolzem Gang,
Wie riesenhafte Geister,
Mit fremdem Wundersang.
28. Die Thäler schlummertrunken
Weckt der Gesänge Lust.
Wer einen Jugendfunken
Noch hegt in seiner Brust,
Der jubelt, tief gerühret:
„Dank dieser goldnen Früh',
Die uns zurückgeführet
Dich, deutsche Poesie!"
29. Die Alte sitzt noch imme
In ihrem Kämmerlein;
Das Dach zerfiel in Trümmer,
Der Regen drang herein;
Sie zieht noch kaum den Faden,
Gelähmt hat sie der Schlag;
Gott schenk' ihr Ruh' in Gnade^
Bis über den jüngsten Tag!
1. Friedrich Gottlieb Klopstock. )
(Geboren 2. Juli 1724 in Quedlinburg, gestorben 14. März 1803 in Hamburg.)
148. ^ns der Messt ade.
1. Einleitung.
(Gesang I, Vers 1—23.)
Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung,
Die der Messias auf Erden in seiner Menschheit vollendet,
Und durch die er Adams Geschlecht zu der Liebe der Gottheit,
Leidend, getötet und verherrlichet, wieder erhöht hat.
Also geschah des Ewigen Wille. Vergebens erhob sich
Satan gegen den göttlichen Sohn; umsonst stand Juda
Gegen ihn auf: er that's und vollbrachte die große Versöhnung.
Aber, o That, die allein der Allbarmherzige kennet,
Darf aus dunkler Ferne sich auch dir nahen die Dichtkunst?
Weihe sie, Geist Schöpfer, vor dem ich hier still anbete,
Führe sie mir, als deine Nachahmerin, voller Entzückung,
Voll unsterblicher Kraft, in verklärter Schönheit entgegen!
Rüste mit deinem Feuer sie, du, der die Tiefen der Gottheit
*) Zur Sammlung: Band III: Die Auserstehung (Nr. 160, Seite 184); siehe oben
Psalm (Nr. 1, Seile 1) und: Unsere Sprache (Nr. 111, Seite 202).
Deutsches Lesebuch. IV.
17