Full text: [Teil 4 = (8., 9. und 10. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 4 = (8., 9. und 10. Schuljahr), [Schülerband])

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nur die Deutschen sollten sie erhalten, welches nicht immer möglich war, 
weil das Schicksal Freunde und Feinde zusammen aufgepackt hatte. 
Die Mutter und wir Kinder, die wir schon früher auf des Grafen 
Wort gebaut und deshalb einen ziemlich beruhigten Tag hingebracht 
hatten, waren höchlich erfreut und die Mutter doppelt getröstet, da sie 
des Morgens, als sie das Orakel ihres Schatzkästleins durch einen Nadelstich 
befragt, eine für die Gegenwart sowohl als für die Zukunft sehr tröst¬ 
liche Antwort erhalten hatte. Wir wünschten unserm Vater gleichen Glauben 
und gleiche Gesinnung, wir schmeichelten ihm, was wir konnten, wir baten 
ihn, etwas Speise zu sich zu nehmen, die er den ganzen Tag entbehrt 
hatte; er verweigerte unsre Liebkosungen und jeden Genuß und begab 
sich auf sein Zimmer. Unsre Freude ward indessen nicht gestört, die Sache 
war entschieden: der Königslieutenant, der diesen Tag gegen seine Ge¬ 
wohnheit zu Pferde gewesen, kehrte endlich zurück; seine Gegenwart zu 
Hause war nötiger als je. Wir sprangen ihm entgegen, küßten seine Hände 
und bezeugten ihm unsre Freude. Es schien ihm sehr zu gefallen. 
„Wohl!" sagte er freundlicher als sonst: „ich bin auch um euretwillen 
vergnügt, liebe Kinder!" 
Er befahl sogleich, uns Zuckerwerk, süßen Wein, überhaupt das Beste 
zu reichen, und ging auf sein Zimmer, schon von einer großen Masse 
Dringender, Fordernder und Bittender umgeben. 
Wir hielten nun einecköstliche Kollation, bedauerten den guten Vater, 
der nicht teil daran nehmen mochte, und drangen in die Mutter, ihn 
herbeizurufen; sie aber, klüger als wir, wußte wohl, wie unerfreulich ihm 
solche Gaben sein würden. Indessen hatte sie etwas Abendbrot zurecht 
gemacht und hätte ihm gern eine Portion auf das Zimmer geschickt, aber 
eine solche Unordnung litt er nie, auch nicht in den äußersten Fällen; 
und nachdem man die süßen Gaben bei Seite geschafft, suchte man ihn 
zu bereden, herab in das gewöhnliche Speisezimmer zu kommen. Endlich 
ließ er sich bewegen, ungern, und wir ahneten nicht, welches Unheil wir 
ihm und uns bereiteten. Die Treppe lief frei durchs ganze Haus an 
allen Vorsälen vorbei. Ter Väter mußte, indem er herabstieg, unmittelbar 
an des Grafen Zimmer vorübergehen. Sein Vorsaal stand so voller 
Leute, daß der Gras sich entschloß, um mehreres auf einmal abzuthun, 
herauszutreten; und dies geschah leider in dem Augenblick, als der Vater 
herabkam. 
Der Graf ging ihm heiter entgegen, begrüßte ihn und sagte: „Ihr 
werdet uns und euch Glück wünschen, daß diese gefährliche Sache so 
glücklich abgelaufen ist." 
„Keineswegs!" versetzte mein Vater mit Ingrimm, „ich wollte, sie 
hätten euch zum Teufel gejagt, und wenn ich hätte mitfahren sollen." 
Der Graf hielt einen Augenblick inne, dann aber fuhr er mit Wut 
ans. „Dieses sollt ihr büßen!" rief er. „Ihr sollt nicht umsonst der ge¬ 
rechten Sache und mir eine solche Beleidigung zugefügt haben!" 
Der Vater war indes gelassen heruntergestiegen, setzte sich zu uns, 
schien heiterer als bisher und fing an zu essen. Wir freuten uns darüber 
und wußten nicht, auf welche bedenkliche Weise er sich den Stein vom 
Herzen gewälzt hatte. Kurz darauf wurde die Mutter herausgerufen, und 
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