Full text: [Teil 4 = (8., 9. und 10. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 4 = (8., 9. und 10. Schuljahr), [Schülerband])

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entschlief auf der offenen Fläche und ließ über sich einen bunten Teppich der 
Träume weben. Die Sonne sah ihn an und lockte auf die schlummernden 
Wangen eine Röte, so schön und so gesund, wie an gezeitigten Äpfeln, 
oder so reif und kräftig, wie an der Lichtseite vollkörniger Haselnüsse, 
und wenn sie endlich gar die hellen, großen Tropfen auf seine Stirne 
gezogen hatte, dann erbarmte sie der Knabe, und sie weckte ihn mit einem 
heißen Kusse. 
So lebte er nun manchen Tag und manches Jahr auf der Heide 
und wurde größer und stärker, und in das Herz kamen tiefere, dunklere 
und stillere Gewalten, und es ward ihm wehe und sehnsüchtig, und er 
wußte nicht, wie ihm geschah. Seine Erziehung hatte er vollendet, und 
was die Heide geben konnte, das hatte sie gegeben; der reife Geist 
schmachtete nun nach seinem Brote, dem Wissen, und das Herz nach seinem 
Weine, der Liebe. Sein Auge ging über die fernen Duftstreifen des 
Moores und noch weiter hinaus, als müsse dort draußen etwas sein, 
was ihm fehle, und als müsse er eines Tages seine Lenden gürten, den 
Stab nehmen und weit, weit von seiner Herde gehen. 
Die Wiese, die Blumen, das Feld und seine Ähren, der Wald und 
seine unschuldigen Tierchen sind die ersten und natürlichsten Gespielen 
und Erzieher des Kinderherzens. Überlaß den kleinen Engel nur seinem 
eigenen innern Gotte und halte bloß die Dämonen ferne, und er wird 
sich wunderbar erziehen und vorbereiten. Dann, wenn das fruchtbare Herz 
hungert nach Wissen und Gefühlen, dann schließ' ihm die Größe der 
Welt, des Menschen und Gottes auf. 
Und somit laßt uns Abschied nehmen von dem Knaben aus der 
Heide. 
2. Der Abschied. 
Eine gute Wegstunde von dem Roßberge stand ein Haus oder 
vielmehr eine weitläufige Hütte. Sie stand am Rande der Heide weit ab 
jeder Straße menschlichen Verkehrs; sie stand ganz allein, und das Land 
um sie her war selber wieder eine Heide, nur anders als die, auf der 
der Knabe die Ziegen hütete. Das Haus war ganz aus Holz, faßte zwei 
Stuben und ein Hinterstübchen, alles mit mächtigen, braunschwarzen Trage¬ 
balken, daran manch Festkrüglein hing mit schönen Trinksprüchen bemalt. 
Die Fenster, licht und geräumig, sahen auf die Heide, und das Haus 
war umgeben von dem Stalle, Schuppen und der Scheune. Es war auch 
ein Gärtlein vor demselben, worin Gemüse wuchs, ein Holunderstrauch 
und ein alter Apfelbaum stand, weiter ab waren noch drei Kirschbäume 
und unansehnliche Pflaumengestrünche. Ein Brunnen floß vor dem Hause, 
kühl, aber sparsam; er floß von dem hohen, starken Holzschafte in eine 
Kufe nieder, die ans einem einzigen Heidestein gehauen war. 
In diesem Hanse war es sehr einsam geworden; es wohnten nur 
ein alter Vater und eine alte Mutter darinnen und eine noch ältere Gro߬ 
mutter; und alle waren sie traurig; denn er war fortgezogen, weit in die 
Fremde, der das Hans mit seiner jugendlichen Gestalt belebt hatte, und 
der die Freude aller war. Freilich spielte noch ein kleines Schwesterlein 
an der Thürschwelle, aber sie war noch gar zu klein und war noch zu
	        
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