Albrecht von Haller, 57 
Umhängt die Marmorwand mit persischen Tapeten, 
Speist Tunkins Nest aus Gold, trinkt Perlen aus Smaragd; 
Schlaft ein beim Saitenspiel, erwachet bei Trompeten, 
Räumt Klippen aus der Bahn, schließt Länder ein zur Jagd: 
Wird schon, was ihr gewünscht, das Schicksal unterschreiben, 
Ihr werdet arm im Glück, im Reichtum elend bleiben. 
2, Beglückte goldne Zeit, Geschenk der ersten Güte, 
O0 daß der Himmel dich so zeitig weggerückt! 
Nicht, weil die junge Welt in stetem Frühling blühte, 
Und nie ein scharfer Nord die Blumen abgepflückt; 
Nicht weil freiwillig Korn die falben Felder deckte, 
Und Honig mit der Milch in dicken Strömen lief, 
Nicht, weil kein kühner Löw’ die schwachen Hürden schreckte, 
Und ein verirrtes Lamm bei Wölfen ‚sicher schlief; 
Nein, weil der Mensch zum Glück den Überfluß nicht zählte, 
Ihm Notdurft Reichtum war und Gold zum Sorgen fehlte. 
3. Ihr Schüler der Natur, ihr kennt noch goldne Zeiten! 
Nicht zwar ein Dichterreich von fabelhafter Pracht. 
Wer mißt den äußern Glanz scheinbarer Eitelkeiten, 
Wann Tugend Müh’ zur Lust und Armut glücklich macht? 
Das Schicksal hat euch hier kein Tempe zugesprochen; . 
Die Wolken, die ihr trinkt, sind schwer von Reif und Strahl, 
Der lange Winter kürzt des Frühlings späte Wochen, 
Und ein verewigt Eis umringt das kühle Tal; 
Doch eurer Sitten Wert hat alles das verbessert, . 
Der Elemente Neid hat euer Glück vergrößert. 
4. Wohl dir, vergnügtes Volk! o danke dem Geschicke, 
Das dir der Laster Quell, den Überfluß, versagt! 
Dem, den sein Stand vergnügt, dient Armut selbst zum Glücke, 
Da Pracht und Üppigkeit der Länder Stütze nagt. 
Als Rom die Siege noch bei seinen Schlachten zählte, 
War Brei der Helden Speis’ und Holz der Götter Haus; 
Als aber ihm das Maß von seinem Reichtum fehlte, 
Trat bald der schwächste Feind den feigen Stolz in Graus. 
Du aber hüte dich, was Größers zu begehren! 
So lang die Einfalt dau’rt, wird auch der Wohlstand währen. 
* x * 
5. Wenn Titans erster Strahl der Felsen Höh’ vergüldet 
Und sein verklärter Blick die Nebel unterdrückt, 
SO wird, was die Natur am prächtigsten gebildet, 
Von dem erhob’nen Sitz, von einem Berg erblickt; 
Durch den zerfahr'nen Dunst von einer dünnen Wolke 
Eröffnet sich im Nu der Schauplatz einer Welt ; 
Der weite Aufenthalt von mehr als einem Volke 
Zeigt alles auf einmal, was sein Bezirk enthält; 
Ein sanfter Schwindel schließt die allzu schwachen Augen, 
Die den zu fernen Kreis nicht durchzustrahlen taugen. 
6. Ein angenehm Gemisch von Bergen, Fels und Seen 
Fällt, nach und nach erbleicht, doch deutlich ins Gesicht; 
Die blaue Ferne schließt ein Kranz beglänzter Höhen, 
Worauf ein schwarzer Wald die letzten Strahlen bricht.
	        
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