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II. Geschichte. 2. Kulturgeschichtliches.
das Gestein und das Sonnenlicht auf Wald und Hügel, die Straße, der
Ausblick in das Land und die Nachbarschaft wurden sorglich erwogen,
Brüder wurden als Späher ausgesandt, bei den Frommen der Umgegend
ward Kunde eingeholt, dann erst wurde eine Gesellschaft der Brüder ab¬
gesandt zur Gründung des Klosters. Die Gesandten begingen Flur und
Tal, darauf knieten sie nieder, beteten und sangen die Psalmen, welche zu
diesem Offizium gehörten, warfen die Richtschnur, steckten die Pflöcke und
maßen den Grund der Kirche, dazu die Wohnungen der Brüder. Schnell
wurden vorläufige Hütten gebaut, und der Bischof ward geladen, die
Stätte zu weihen; an die Stelle, wo der Altar sich erheben sollte, wurde
die heilige Kreuzsahne gesteckt, von dort die geweihte Umfriedung mit
einem Namen begabt. An demselben Tage begann der Ban, die Mönche
arbeiteten mit den Landleuten um die Wette an Balken und Steinen.
Waren die nötigsten Gebäude ausgerichtet, dann siedelten die Brüder aus
dem Mutterkloster über mit allem Hausrat; Männer, Greise und Knaben
begingen unter dem Notdach die erste Messe. Stand die Kirche vollendet, dann
führte der Abt des neuen Klosters eine größere Anzahl der Brüder herzu.
Bedeutung und Wohlstand eines Klosters hingen davon ab, daß eine
große Herrenfamilie ihre Interessen mit denen des geistlichen Stiftes ver¬
einigte. Die weltlichen Gründer und Schützer, das Königsgeschlecht, ein
Herzog oder Graf, betrachteten das Kloster als einen wertvollen Helfer
für ihr irdisches und ewiges Heil, durch die Mönche ordneten sie ihre
Rechnung mit dem Himmel, der Klosterheilige war auch ihr Patron, ihm
wurden Gelübde abgelegt, ihm bei beschwertem Gewissen Geschenke gemacht,
ihm die Söhne und Töchter geweiht, welche nicht der weltlichen Lust und
Versuchung teilhaftig sein sollten, an seinem Altare suchte man Frieden
und Erhebung, bei seinen Reliquien die letzte Ruhestätte. Fast sedes der
großen Klöster Deutschlands, welche vom achten bis zum elften Jahr¬
hundert Bedeutung gewannen, war in solchem Sinne Besitz eines mächtigen
Hauses und Vertreter seiner Interessen. Und es wurde in der Regel ein
Verhältnis von großer Innigkeit. In der Einsamkeit des Klosters fand
der wilde Krieger, der ränkevolle Politiker eine heilige Ruhe, welche ihm
sein Leben nicht gönnte, in den Mönchen die treusten Anhänger, die ihn
als den großen Spender und Freund betrachteten, in den Weisen des
Klosters stille Ratgeber, Verfertiger von Schriftstücken — zuweilen auch
von unechten — und Verfasser der Annalen seines Hauses. Die Äbte
wurden häufig aus seinem Geschlechte gewühlt, unter den Brüdern oder
Schwestern waren Kinder seiner Anhänger, er und die Seinen hatten im
Kloster eine geweihte Heimat, und wenn ihr Glück auf Erden gescheitert
war, die letzte Zuflucht.
Durch Spenden der Gönner mehrte sich allmählich das Eigentum des
Klosters, seine Ackerstiicke und Hufen lagen vielleicht über einen großen