Vilmar: Das Nibelungenlied.
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vor allen Königen, und Kriemhild antwortet, Siegfried komme ihrem
Bruder Günther doch wohl gleich. Da bricht endlich Brunhild zornig
aus: „Als dein Bruder mich zum Weibe gewann, hat Siegfried selbst gesagt,
daß er Günthers Dienstmann sei, und dafür halte ich ihn seitdem."
Freundlich bittet Kriemhild, diese Rede zu lassen; ihre Brüder hätten sie
keinem Dienstmanne verlobt. „Ich lasse die Rede nicht," entgegnet Brunhild
trotzig; „dein Mann ist und bleibt uns untertan!" Da bricht auch
Kriemhildens gerechter Zorn aus: „Und Siegfried ist doch noch edler als
Gimther, mein Bruder, und es wundert mich nur, daß er so lange Jahre
euch weder Zins noch Dienst geleistet hat." „Das werden wir sehen,"
antwortet Brunhild, „ob man dich so ehren wird wie mich." „Ja, wir
werden es sehen," ruft Kriemhild, „ob ich nicht bei dem heutigen Kirchgänge
den Vortritt vor dir haben werde."
Die Königinnen gehen zur Kirche, nicht in freundlicher Gesellschaft
wie bisher, vielmehr jede abgesondert mit ihrem Gefolge edler Frauen.
Brunhild steht vor dem Münster und wartet auf Kriemhild; als diese
anlangt, gebietet ihr Brunhild laut vor allem Volke stillzustehen und
spricht: „Eine Eigenmagd soll nicht vor der Königin hergehen!" Da
flammt zum erstenmale der bittere Zorn des bis dahin arglosen, liebenden
Weibes auf: „Du hättest sollen stillschweigen; du bist von Siegfried
gewinnet und schmählich verlassen, auch hat er dich bezwungen und
gewonnen, und nicht Günther. Du selbst also hast dich einem Eigenmann
ergeben." Doch begütigend und das kaum ausgesprochene schlimme Wort
bereuend, setzt sie alsbald hinzu: „Du bist selbst schuld, daß wir in
diesen Streit geraten sind; mir ist es immer leid, glaube mir das auf
meine Treue; zu treuer Herzensfreundschaft bin ich immer wieder bereit."
Aber das Wort ist zu arg; beim Ausgang aus dem Münster bleibt
Brunhild abermals stehen, hält Krimhild abermals an und fordert sie
ans zu beweisen, was sie gesagt habe, um, verhalte es sich wirklich so,
und habe gar Siegfried sich ihrer Minne gerühmt, blutige Rache an ihm
zn nehmen. Da zeigt Kriemhild den Ring, und als Brunhild dessen
Anerkennung dadurch zu umgehen sucht, daß sie ihn für entwendet erklärt,
auch den Gürtel. Jetzt ist Brunhildens Übermut gebrochen; aber hoch ans
richtet sie sich dagegen in grimmiger Rachsucht; es ist gewiß, daß Siegfried
sich seines frühern Verhältnisses zu ihr, daß er sich der durch ihn, nicht
durch Günther zweimal geschehenen Überwältigung ihrer stolzen Kraft
-gegen Kriemhild gerühmt hat, sie ist öffentlich bis auf den Tod be¬
leidigt, — Siegfrieds Tod ist beschlossen. Der Arglose sieht den Streit
nicht an als den Anfang des bittern Kampfes auf Tod und Leben, dem
er selbst unterliegen soll; eitler Ehre als ein rechter Held nicht begehrend,
hat er sich nie gerühmt der Taten, die er vollbracht, am wenigsten des,
was ihm gegen ein Weib gelungen, — nur daß Ring und Gürtel von