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76. Wassersnot.
blicke niedergebrannt. Wärmer hat es den kalten Raum nicht gemacht.
Ratlos blickt sie umher. Es fängt schon an zu dämmern. — Großer Gott,
die ganze Nacht in dein eisigen Raum zubringen zu müssen, ohne wärmendes
Feuer! Großmutter ist in ihrem Lehnstuhl eingeschlafen und wimmert leise
5 vor Kälte. Die Kinder werden müde, sie müssen schlafen. Hans steht aus,
denn die Kinder müssen ins Bett. Er geht zur Wand und reißt ein Brett
los. Mit blutenden Fingern zerbricht er's vor den Knien. Endlich, endlich
ein kleines Feuer! Vater und Mutter setzen sich, so dicht es geht, heran und
wärmen abwechselnd Finger und Füße. Aber nun die Glieder warm werden,
10 sängt das Blut in ihnen an zu prickeln und zu stechen, und die Schmerzen
sind größer denn vorher. Aber sie müssen ertragen werden, oder sie erfrieren
in der Nacht. Der ganze Raum hat sich mit Rauch gefüllt, daß ihnen die
Augen tränen und die Kinder husten. Sie öffnen das Dachfenster, damit
der Rauch abziehen kann, aber der eisige Wind fährt herein und vergrößert
15 die Kälte.
So sitzen sie bei dem kleinen Feuerscheine die ganze lange Nacht
trostlos und verlassen. Den drei Kindern ist das Bett zu eng, die Mutter
schüttet rechts und links Stroh neben die Bettdecke.
Es ist eine schreckliche Nacht für die Eltern, und mit Grausen und
20Entsetzen denken sie des morgigen Tages. Was soll dann werden?! —
Am Himmel verblassen die ersten Sterne, und ein feiner, heller
Schimmer fällt über das Wasser. Wo gestern die reine, weiße Schneedecke
lag über Feld und Wiese und Garten, flutet jetzt das Wasser und wellt und
gurgelt und klatscht an die Wände und reicht bis zum Dach. Und dann
25wird's Tag. Aus dem Wasser steigt an diesem Morgen die Sonne und
schaut auf das überschwemmte Land und blinkt durch die Ritzen des Daches
und sieht das trostlose Elend der Familie. — Mit tränenden Augen sieht
Hans zum Dachfenster hinaus. Dahin oder verwüstet ist alles, was ihm
gehörte, begraben und verdorben unter dem Wasser. Was soll nun werden?!
30-Da lauscht er. Er erschrickt, er hört fremde Stimmen. — Etwas
furchtbar Großes, Schwarzes kommt um die Hausecke — er sieht's und
schreit auf: „Mutter, Frau, Kinder! Sie kommen! Sie kommen! Gott
sei gedankt!" Er lacht, er weint und ist närrisch vor Freude. „Leute aus
dem Kirchdorfe sind^s! — Sie wollen uns retten, sie kommen zu Schiff!" —
35 Eilig zieht er seine hartgefrorenen Wasserstiefel an, er tritt gegen die
Dachpfannen und zerstößt sie und hält nicht auf und stößt ein mannsgroßes
Loch hinein und sieht hindurch und winkt. Und das Schiff fährt bis an das
Dach und nimmt die unglückliche Familie auf. — Und dann fährt es ab und